Heute geht Deutschland baden!

Geschrieben am 26.09.2015 von Bernd Rosen

Zwischenbericht aus Poreč

Prognosen sind beim Schach bekanntlich genauso schwierig wie in anderen Sportarten (sieht mal man von dem jetzt schon feststehenden Bayerischen Fußballmeister 2016 ab...). Diesmal ist die Sache aber nicht ganz so schwierig: Denn mit der Überschrift will ich nicht etwa mitteilen, was der Blick in die Kristallkugel mir über das Abschneiden der deutschen SpielerInnen in der nächsten Runde verraten hat, sondern nur auf das Freizeitprogramm anspielen, das für den heutigen Ruhetag auf dem Prrogramm der deutschen Delegation steht: Wir werden einen Bootsausflug zu einer nahe gelegenen Grotte unternehmen, bei dem auch die Gelegenheit zum Baden besteht. Im Moment hat die Sonne noch andere Pläne als dem Wetterbericht Folge zu leisten (noch so ein Bereich, in dem Prognosen nicht immer eintreffen), aber wir vertrauen fest darauf, dass bis zum Nachmittag auch das Wetter auf unserer Seite ist. Außerdem kann ich den Ruhetag für eine kleine Zwischenbilanz nach 5 von 9 Runden nutzen.

Vorher (Vorsicht - Prognose!) waren sich die Experten darin einig, dass Deutschland allenfalls in der U16 Medaillenchancen haben dürfte. Das ist auch tatsächlich so eingetroffen, aber doch nicht ganz wie geplant: Denn nicht der Setzlistendritte Dmitrij Kollars spielt in dieser Altersklasse vorne mit, sondern Leonid Sawlin, der mit rund 200 Punkten Rückstand auf die Spitze nur Rang 24 der Setzliste bekleidet. Dank "Schweizer Gambit" (Niederlage in der ersten Runde gegen den deutlich niedriger gerateten Türken Ataberk Eren) hatte er es in den nächsten drei Runden ebenfalls mit nominell schwächeren Kontrahenten zu tun, konnte in der letzten Runde mit dem Weißrussen Nikitenko (Platz 7 der Setzliste) aber ein echtes Schwergewicht in einer kämpferisch starken Partie bezwingen. Mit 5 aus 5 liegt in dieser Altersklasse Andreas Kelires aus Zypern an der Spitze - ich muss gestehen, dass Zypern auf meiner schachlichen Landkarte bisher nicht verzeichnet war. Im Verfolgerfeld der U16 liegt auch "unser" Robby Kevlishvili, der gestern leider seine erste Null kassierte.

Am weitesten über der Erwartung spielt bisher Samuel Fieberg, den ich vor etlichen Jahren bei seiner ersten "Deutschen" mal selbst betreut habe. Von einer unglücklichen Niederlage in der 4. Runde unbeeindruckt holte er gestern wieder einen vollen Punkt und steht mit 3,5 Punkten sehr ordentlich da: Aktuell Platz 18 mit einem Punkt Rückstand auf die allerdings recht breite Spitze. Ebenfalls ein sehr gutes Turnier spielt Ruben Lutz in der U12. Er steht aktuell bei 3,5 Punkten, hat gegen die Nr. 1 bereits Remis gehalten und darf morgen genen den Ungarn Mercali Borheli ran, immerhin Platz 9 der Setzliste. Und nicht weniger als acht SpielerInnen stehen momentan mit 3 Punkten im Plus - nicht alle von ihnen stehen in der ersten Hälfte der Startrangliste.

Die Tabelle der deutschen SpielerInnen nach Runde 5 stellt sich bei Chess Results im Augenblick so dar:

Falls Sie sich fragen, warum Dmitrij Kollars zwar um 120 Punkte unter der Erwartung geblieben ist und dennoch nur 7,2 ELO - Punkte einbüßt, während z.B. Raphael Lagunow seine knapp 60 Punkte mit 15,6 Zählern Einbuße doppelt so teuer bezahlen muss, dann sollten Sie den Artikel von Bruno Wisend bei Chessbase lesen - dort ist der Unsinn der neuen K=40 - Regelung sehr sachkundig erläutert worden. Seiner Forderung, diese Neuerung möglichst schnell rückgängig zu machen, kann ich mir nur anschließen. Da von der so weiter angeheizten ELO-Inflation letztlich alle aktiven Schachspieler von höheren Wertungszahlen profitieren dürfte die Forderung aber wenig Aussicht auf Erfolg haben.

Und meine Schützlinge? Jana Böhm schlägt sich mit 50 Prozent gegen überwiegend höher geratete Spielerinnen sehr achtbar, während Melanie Müdder gestern eine weitere unvollendete produzierte. Aus der Vorbereitung heraus erhielt sie direkt eine überlegene Stellung. Dort konnte sie sich wie Buridans Esel aber nicht zwischen den vielen aussichtsreichen Fortsetzungen entscheiden und wählte eine Variante, die leider ein Loch hatte. Hier war der Trainer vor allem als Gute-Laune-Bär gefragt - und mit einem Kalauer der übelsten Sorte hatte ich auch tatsächlich Erfolg ("Nichts anderes war von Dir zu erwarten!" wird meine Familie hier denken, die allzuoft bemüht ist, bei meinen berüchtigten Geistesblitzen nicht vor zu sehr zu zusammenzuzucken): In Anspielung auf den für heute geplanten Bootsausflug zur Grotte meinte ich nämlich, dass der für grottenschlechte deutsche Spielerinnen doch wie maßgeschneidert wäre. Nun ja...

Immerhin hat auch Pauline Schmidt mir inzwischen zumindest als Motivator und Sparrinngspartner vor der Runde eine Nebenrolle zuerkannt. Gestern holte sie sich endlich den zweiten vollen Punkt und hofft wie alle anderen, dass es in der zweiten Turnierhälfte endlich oder weiterhin viele halbe und ganze Punkte zu ernten gibt.

Hier die Fotos zum Turnier, die zum Teil von Raphael Müdder und Bernd Vökler stammen:

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