Entspannter Saisonabschluss
Geschrieben am 21.04.2008 von Ulrich Geilmann
Ich habe lange darüber nachgedacht, welche Überschrift man dem Bericht über die letzte Runde der Schachbundesliga in Mülheim geben soll:
"Nordlichter gegen Kruppstädter"
Nein! Die internationale Besetzung der Traditionsklubs aus Bremen, Hamburg, Mülheim und Essen sind mit solchen (in ihrer Diktion auch fragwürdigen) Plattitüden sicher nicht treffend umschrieben.
"Hanse gegen Kohlenpott"
Auch nicht! Die ökonomisch agilen Ballungsräume im Norden der Republik haben mit einer rückwärts blickenden Handelsgeschichte heute genauso wenig am Hut, wie das moderne Ruhrgebiet mit dem althergebrachten Malocherimage. Tja, Berichte zu schreiben ist halt doch nicht immer ganz so leicht wie's aussieht! Okay, ich hab's:
"Entspannter Saisonabschluss"
Ja! So könnte man anfangen! Die Mannschaft nach gutem Saisonverlauf auf einem sicheren Tabellenstand wissend, wollte ich mich diesmal wirklich ein wenig zurücklehnen und versuchen, das Schachwochenende in vollen Zügen zu genießen. Dabei sollte v. a. der 2. Katernberger Schlachtreihe eine Chance eingeräumt werden, sich zu beweisen. Für einige Spieler war es denn auch so etwas wie eine Standortbestimmung. Außerdem waren die äußeren Spielbedingungen mal wieder perfekt. Gute Mülheimer Verhältnisse eben!
Unser samstäglicher Gegner, der SV Werder Bremen, hatte ganz groß aufgefahren und war fast in Bestbesetzung angetreten. Schließlich wollte man insbesondere gegen Mülheim punkten. Dennoch waren unsere Cracks optimistisch, den norddeutschen Schachprofis ausreichend Paroli bieten zu können. Das Team wurde übrigens auch diesmal wieder von WFM Sarah Hoolt unterstützt, die die Jungs entsprechend antrieb!
In der Partie GM Igor Glek gegen GM Zahar Efimenko kam es zur doch eher selten gespielten Skaninavischen Eröffnung. Igor hatte schon einmal schlechte Erfahrungen mit ihm gemacht und verzichtete deshalb auf sein bewährtes Französisch. GM Vladmir Chuchelov, der zusätzlichen Beistand durch Frau und Sohn hatte, spielte gegen GM Alexander Areshenko seine übliche Damengambitstellung; auch keine wirkliche Überraschung. IM Christian Seel musste mit Schwarz gegen die Italienische Eröffnung des französischen GM Laurent Fressinet antreten während das Damenbauernspiel von IM Sebastian Siebrechts von GM Georg Meier mit einer Tartakower-Aufstellung beantwortet wurde. IM Robert Ris bekam es mit dem Ex-Katernberger GM Leonid Kritz zu tun und konnte wieder einmal seinen heißgeliebten Spanier anbringen; sah soweit ganz solide aus. IM Georgios Souleidis spielte hingegen mit den weißen Steinen einen recht aggressiven Sizilianer gegen GM Zbynek Hracek. Mit Schwarz versuchte sich IM Dr. Christan Scholz, der ebenfalls durch seine Frau begleitet wurde, im Königsindischen gegen GM Vlastimil Babula. IM Matthias Thesing spielte schließlich mit Weiß gegen den schweizer Topspieler GM Yannick Pelletier in der Philidorverteidigung.
Wenn man die Partien in der Eröffnungsphase hätte abbrechen können, wäre uns der Sieg kaum zu nehmen gewesen. Leichte Sorge bereitete mir lediglich die Partie von Christian Seel, der sich einen doppelten Holzökonomen auf f6 einfing. So eine statische Schwäche kann einem schon mal den ganzen Tag versauen.
Im beginnenden Mittelspiel wurde es dann auch bei Robby etwas heißer auf dem Brett. Die Stellung sah mit einem Isolani auf d5 und einem dadurch etwas in der Luft hängenden Zentralspringer auf e4 nicht gerade Vertrauen erweckend aus. Aber wir kennen ja unser niederländisches Löwenherz: So schnell lässt der sich nicht aus der Reserve locken und da Matthias, Georgios, Sebastian und Vladimir ziemlich gut standen, war eigentlich alles in Butter; zumal auch Igor und Christian Scholz keine sonderlichen Probleme hatten, ihre Partien ausgeglichen zu gestalten.
Das blieb dann auch lange Zeit so, wobei sich Robert darauf einlassen musste, seine Dame gegen zwei Türme minus Zentralbauer zu tauschen, was das Endspiel insgesamt nicht gerade angenehmer machte. Georgios und Matthias hatten allerdings leichte Zeitprobleme; ihre Stellungen sahen eigentlich aber trotzdem sehr hoffnungsvoll aus.
Vor allem gefiel mir der Einsatz unseres griechischen Champs Georgios, der weiterhin kompromisslos auf Angriff spielte. Sollte das etwa zu einem Punkt reichen?
Doch leider schlug der Angriff dann doch nicht durch und die herannahende Zeitkontrolle machte die zu treffenden Entscheidungen für Georgios nicht gerade leichter. Er musste plötzlich sogar ums Remis kämpfen. Malakka!
Zu diesem Zeitpunkt rollte Sebastian das gegnerische Zentrum entgegen. Genau das gefiel Sarah aber überhaupt nicht. Ihre prägnante Gesamteinschätzung: Alles wieder offen! Irgendwie klar, dass wir bei einem durchschnittlichen Elodefizit von 200 Punkten keine Geschenke erwarten durften.
Mit der herannahenden Zeitkontrolle begannen dann unsere Probleme. Matthias hatte eine ausgeglichene Stellung, allerdings deutlich weniger Zeit und es waren noch etliche Züge zu machen; außerdem wühlte die gegnerische Dame in seinen Innereien. Bei Christian Scholz war die Stellung immer noch unklar. Sowohl Sebastian als auch Igor mussten einen bedrohlichen Bauernansturm abwehren und Christian Seel fightete in seiner schwierigen Stellung.
Einziger wirklicher Lichtblick: Vladimir. Er war mittlerweile in einem Endspiel mit Dame und Turm angelangt und konnte von seinem deutlichen Stellungsvorteil zehren.
Leider gab während dessen Georgios seine so hoffnungsvoll gestartete Partie in hoffnungsloser Zeitnot verloren (0:1). Auch Matthias ereilte sein Schicksal (0:2). Aber die Katernberger verstehen es ja bekanntlich zu kämpfen: So gelang Vladimir in einer exzellent geführten Attacke der Anschlusstreffer (1:2) und Sebastian mit souveränem Partienverständnis und aktiver Mithilfe seines Gegners sogar der Ausgleich (2:2). Wenig später musste leider aber Igor die Waffen strecken (2:3). Es ging hin und her!
Für die restlichen Partien ergab sich trauriger Weise eine eher pessimistische Einschätzung. Christian Seel mühte sich weiterhin in einem deutlich schlechteren Turmendspiel ab. Auch bei Robert Ris sah es bescheiden aus, da Kritz nun versuchte, die Stellung zu öffnen. Christian Scholz hatte ebenfalls ein schwieriges Endspiel auf dem Brett (Läufer und 4 Bauern gegen den Turm und 3 Bauern). Es sah also nicht gut aus.
Dann musste Christian Seel aufgeben (2:4). Damit hatte Bremen den ersten Mannschaftspunkt eingefahren und leider lag ein möglicher Ausgleich für uns in weiter Ferne.
Nach dem (allerdings hochverdienten) Remis von Christian Scholz war der Keks dann endgültig gegessen (2,5:4,5). Der Schlusspunkt wurde schlussendlich in der Partie Kitz - Ris gesetzt. Robert spielte ebenfalls Remis (3:5). Der SV Werder ging damit gestärkt in das Endspiel um den 2. Tabellenplatz gegen unsere Mülheimer Freunde.
Mit Dr. Till Schmelz-Brandenburg und Evi Zickelbein, die übrigens ihren Geburtstag feierte, ging's dann zum Restaurant "Don Peppino" zu einem gemütlichen Schmaus bei Pizza und Pasta!
Der Sonntag war dann Sarahs großer Tag. Sie feierte ihr Bundesligadebüt. Dafür setzte Matthias aus. Die Hamburger Aufstellung hatte sich gegenüber dem Vortag nicht verändert. Es spielten GM Jan Gustafsson, GM Dr. Lubomir Ftacnik, GM Sune Berg Hansen, GM Dr. Karsten Müller, IM Thies Heinemann, IM Dr. Guenther Beikert, IM Oliver Reeh und Dirk Sebastian. Voher gab Evi Zickelbein aber noch einen leckeren Geburtstagskuchen aus, der noch gemütlich verdrückt wurde.
So harmonisch sollte es dann zunächst auch an den Brettern weiter gehen. Obwohl die Eröffnungswahl eigentlich gar nicht so friedlich aussah: Die Hitliste führte Sizilianisch an (Vladimir, Sebastian, Robert und Sarah), dicht gefolgt von damenindischen Positionen (Christan Seel, Georgios und Christian Scholz). Der "Exot" war Igor mit Spanisch.
Christan Seel bot dann für mich sehr überraschend nach nur 12 Zügen ohne Rücksprache Remis an. Er hatte offenbar das Gefühl, aus seiner Stellung nichts herausholen zu können. Allerdings schien mir seine heutige Partieanlage ohnehin wenig ambitioniert zu sein. Für meinen Geschmack kam seine Offerte, die sein Gegner dankbar annahm, dennoch klar zu früh, zumal er die weißen Steine führte. Schade, ein wenig mehr Kampfgeist stünde seinem Talent gut zu Gesicht, denn es kann nun wirklich kein sportliches Ziel sein, nicht verlieren zu wollen (0,5:0,5)!
Doch diesmal war auch der sonst so kampfstarke Robert zu friedlich gestimmt. Er brauchte aber exakt einen Zug länger, um sich mit Weiß auf ein Unentschieden einzulassen. Auch er "vergaß" dabei irgendwie die Zustimmung seines Teamchefs einzuholen (1:1). Als nächstes kam dann Igor zu mir. Sein Gegner wollte mit Schwarz ebenfalls ein frühes Salonremis. Igor lehnte allerdings nach Prüfung seiner Optionen und Abschätzung der Mannschaftssituation ab! Zwischenzeitlich ging der Austausch von Freundlichkeiten aber munter weiter! Diesmal war es Sebastian der mit den schwarzen Steinen ein Remis annahm, ohne sich mit mir abgestimmt zu haben (1,5:1,5). Echt Prima! Dabei war er es noch, der die Kurzremisen mit den Worten "…klasse - am besten wir lassen die gesamte Verantwortung bei Sarah…" kommentierte. Ich wurde langsam echt sauer, zumal ich mich eigentlich nicht daran erinnern konnte, Kurzarbeit angeordnet zu haben! Okay: Insgesamt gesehen war ja noch nichts Nachteiliges passiert. Nur hatte ich bereits jetzt das dumpfe Gefühl, dass sich dieser Leichtsinn zum Schluss bitter rächen würde. Um es vorweg zu nehmen: Meine Vorahnungen bestätigten sich leider. Doch der Reihe nach.
Wie standen also eigentlich die anderen Bretter zu diesem Zeitpunkt? Nun, nach oberflächlicher Einschätzung hatte Christian Scholz vielleicht wohl noch die relativ besten praktischen Chancen; seine Stellung war aber wirklich schwer zu durchschauen. Sarah und Georgios standen hingegen eher etwas passiv, wobei Sarahs Position nach der teilweisen Lockerung des Zentrums einige taktische Ressourcen hatte und ihr Zeitkonto etwas besser aussah. Vladimir stand nach einer Eröffnungsneuerung eigentlich wie immer ziemlich sicher.
Insgesamt verfestigte sich bei mir im weiteren Verlauf des Nachmittages aber der ungute Gesamteindruck, besonders weil sich Christans Stellung im Laufe der nächsten Züge immer komischer anfühlte. Auch Sarah hatte nach einem unpräzisen Damenzug ernste Probleme, weil ihre Leichtfiguren urplötzlich alle in der Luft hingen. Ganz zu schweigen von den langsam einsetzenden Zeitnotproblemen, die Igor und Vladimir plagten. Während dessen öffnete Georgios am Damenflügel per Bauernopfer die Pforten, um den dort befindlichen weißen König in Bedrängnis zu bringen. Doch auch er hatte einen etwas höheren Zeitverbrauch, so dass die Spannung zunahm. Zudem war mir nicht so ganz klar, wie er seine Angriffsidee sinnvoll koordinieren wollte. Dann musste leider Sarah ihre Partie aufgeben. Schade. Ich hätte es ihr eine erfolgreichere Premiere gegönnt. Aber sie war sicher nicht zum letzten Mal dabei (1,5:2,5)! Erfreulicher Weise strafte mich kurz danach aber Christian Lügen. Er konnte seiner Gegner glanzvoll überspielen und fuhr seine Partie erfolgreich nach Hause. Endlich! Die Gewinnpartie war sicher Balsam für seine Seele nach der etwas verkorksten Saison (2,5:2,5). Ich gönnte ihm den Punkt von Herzen.
Leider wurde danach Vladimir Opfer seines hohen Zeitverbrauchs. Sein Blättchen fiel im 40. Zug. Er ärgerte sich natürlich, weil die Stellung vorher mehrere Remischancen bot, aber das war jetzt ziemlich schnuppe (2,5:3,5). Es spielten also noch Igor und Georgios. Doch beide Partien sahen überhaupt nicht danach aus, als könne man sie noch irgendwie halten. Zumindest Igor stand nach ungenauen Zügen ziemlich klar breit. Insofern sank meine Stimmung mehr oder minder auf den Nullpunkt. Genau so hatte ich es kommen sehen. Das roch eindeutig nach deutlichem Verlust des Mannschaftskampfes! Dann kam es wie befürchtet: Igor musste aufgeben und der Kampf war vorbei (2,5:4,5). Auch Georgios ereilte kurz danach sein Schicksal in Form eines Damenopfers seines Gegners (2,5:5,5). Saisonende!
Trotz des etwas enttäuschenden Finales ist die Bundesligasaison 2007/2008 nicht wirklich schlecht verlaufen. Nach den ersten Startschwierigkeiten haben wir eine geschlossene Mannschaftsleistung präsentiert und uns gegenüber dem letztjährigen Ergebnis mit dem 10. Platz wie erhofft konsolidieren können. In diesem Zusammenhang möchte ich insbesondere die hervorragenden Einzelergebnisse von Evgeny Postny (der manchen "bigpoint" machte), Nazar Firman (der sogar eine Großmeisternorm einsacken konnte) und Martin Senff (der wirklich konstant gutes Schach zeigte) herausheben. Auch Stelios Halkias, Vladimir Chuchelov und Robert Ris haben die in sie gesetzten Erwartungen durchaus erfüllt. Für Christian Seel, Sebastian Siebrecht und Georgios Souleidis ist die Saison sicher nicht ganz wunschgemäß verlaufen. Schade war allerdings die etwas unterdurchschnittliche Punkteausbeute von Igor Glek, Erwin l'Ami, und Christian Scholz; das wird in der nächsten Saison sicher besser! Schließlich wäre es auch schön gewesen, Alexander Motylev, Matthias Thesing und Sarah Hoolt häufiger einsetzen zu können, doch das hat leider ebenfalls nicht so ganz geklappt.
Die Stimmung in der Mannschaft war dennoch hervorragend und es hat Spaß gemacht, als Teamchef mitzuwirken. Danke, dass ich dabei sein durfte! Es ist jetzt aber auch an der Zeit, eine kleine Laudatio für meine Mitstreiter zu halten: Werner Nautsch - der eigentliche "spiritus rector" der Bundesligaidee - war immer ansprechbar und stand mir fast schon väterlich zur Seite. Ohne seinen unermütlichen Einsatz wäre die Bundesligamannschaft überhaupt nicht denkbar. Herzlich möchte ich auch Bernd Rosen danken, der trotz seiner vielfältigen Verpflichtungen immer mit Rat und Tat dabei war. Egal, was es zu regeln galt - er war einfach zur Stelle! Willy Rosen war in dieser Saison schließlich für mich so etwas, wie der ruhende Pol der Firma. Seine konstruktiven Anmerkungen sind mir stets eine große Hilfe gewesen.
Auf in die nächste Saison!