Essen
Geschrieben am 16.12.2008 von Bernd Rosen
Manchmal wundere ich mich, wie effizient doch unser Bundesliga-Organisationsteam arbeitet. Diesmal war allerdings irgendwie der Wurm drin.
Die Mannschaftsaufstellung stand eigentlich schon seit knapp einem Monat fest, wobei GM Evgeny Postny darum gebeten hatte, ihn nicht einzusetzen, weil er die israelische Landesmeisterschaft mitspielen wollte. Darüber hinaus war GM Sebastian Siebrecht in vorweihnachtlicher Mission unterwegs. IM Georgios Souleidis wollte schließlich seine neue Wohnung renovieren und an diesem Wochenende seine schachjournalistische Ader ausleben.
Soweit alles kein Problem, möchte man meinen. Doch als ich dann die Nominierungen zum großen Schachwochenende am 12.-14.12.2008 in Essen bekannt gab, hagelte es weitere Absagen:
Zunächst war es GM Erwin l’Ami, der Terminprobleme hatte. Aus privaten Gründen konnte dann auch GM Stelios Halkias seine Zusage nicht halten. Außerdem bat mich IM Robert Ris aussetzen zu dürfen, weil er sich nach den etwas frustrierenden Ergebnissen der letzten Runden noch einmal ins Trainingslager zurückziehen wollte.
Auch das war kein Beinbruch, denn die verbleibende Mannschaft, bestehend aus GM Alexander Motylev, GM Viktor Laznicka, GM Vladimir Chuchelov, GM Parimarjan Negi, IM Nazar Firman, IM Christian Seel, IM Martin Senff und IM Matthias Thesing war trotz der widrigen Begleitumstände auch nicht von schlechten Eltern. So konnte ich dem Heimkampf in den nächsten Wochen beruhigt entgegen sehen.
Die Ruhe vor dem Sturm.
Denn als ich letzten Mittwoch noch in einem beruflichen Meeting saß, erreichte mich ein Anruf von "Sascha" Motylev aus Shanghai. Er teilte mir mit, dass er vermutlich seinen Flug nach Deutschland nicht rechtzeitig erreichen würde und empfahl, zumindest für Freitag einen Ersatzmann aufzustellen.
Wie schön!
Ich wurde blass, was einen Teilnehmer der Sitzung zu der Frage veranlasste, was denn wohl los sei und ob jemand gestorben wäre! Allerdings bekam ich einige quälende Minuten später eine wiederum entspannende SMS von Sacha: Nun sei wieder alles okay. Er habe eine Möglichkeit gefunden und komme auf jeden Fall rechtzeitig.
Ich wechselte wieder die Farbe. Durchatmen!
Dann kam der Freitag. Ich kam so gegen 12.00 Uhr in Essen an. Plötzlich klingelte das Telefon. IM Matthias Thesing teilte mir in dem Telefonat mit, dass er leider noch in Rumänien festsitze. Das Flugzeug war defekt und konnte erst mit erheblicher Verspätung abheben. Auf jeden Fall zu spät, um noch rechtzeitig zum Kampf gegen Mülheim anzutreten, der um 16.00 Uhr beginnen sollte.
"…Jetzt nur keine Panik…", dachte ich mir.
Glücklicher Weise fand sich dann schnell IM Christian Scholz bereit, kurzfristig einzuspringen. WIM Sarah Hoolt sollte nämlich am gleichen Tage im vorbereiteten Rahmenprogramm eine Simultanveranstaltung geben. Unsere Mannschaft hatte damit wirklich alle Ressourcen ausgeschöpft.
Die sonstigen organisatorischen Vorbereitungen, die diesmal auf den Schultern von Friedel Dicks, Werner Nautsch und Bernd Rosen lagen, waren hingegen nahezu perfekt. Der Regionalverband Ruhr, der sich auch in diesem Jahr dankenswerter Weise bereit fand, das Schachevent in einem gediegenen Ambiente, guter Verpflegung und mit hohem Personaleinsatz zu begleiten, tat ein Übriges, um die Veranstaltung zu einem vollen Erfolg werden so lassen.
Begrüssung durch Dr. Thomas Rommelspacher (dahinter FM Werner Nautsch)
Auch das Rahmenprogramm konnte sich sehen lassen. So war u. a. eine Partienkommentierung vorgesehen. Außerdem fand ab 17.00 Uhr eine Runde der Essener U12-Einzelmeisterschaft statt. Auch für die Live-Übertragung, die in den bewährten Händen unserer Mülheimer Schachfreunde lag, war gesorgt.
Irgendwie lief also doch noch alles rund.
Ich hatte mich diesmal übrigens privat auch in unserem Spielerhotel eingemietet, damit die Jungs nicht so allein waren und mir die dreifache An- und Abreise erspart blieb. Außerdem wollte ich sowieso immer schon mal im MERCURE Plaza, einem der Essener Spitzenhotels, übernachten.
Dass der SV Mülheim-Nord klarer Elofavorit war, muss nicht betont werden. Unser Reisepartner trat dann auch mit einer soliden Mannschaftsstruktur an: GM Vachier-Lagrave, GM Tregubov, GM Landa, GM Fridman, GM Malakhatko, GM Levin, GM Berelovich und GM Saltaev.
Unser Schiedsrichter Jürgen Göldenboog pfiff die Partie pünktlich um 16.00 Uhr vor einer durchaus anständigen Zuschauerkulisse an. Leider fehlten bei beiden Mannschaften aber noch jeweils 3 Spieler. Nach der Dresdenregel hätte es also Nullen gehagelt. Doch glücklicherweise(?) ist es in der Bundesliga noch nicht üblich, die bei Spielbeginn fehlenden Spieler zu nullen.
Okay - zum Schach: Also auf Anhieb konnte ich keine eröffnungstheoretischen Highlights entdecken. Sah alles ziemlich gediegen aus.
Auffällig war allerdings der etwas zerzauste Eindruck, den Christian Seels Haare hinterließen. Martin begrüßte ihn denn auch mit dem freundlichen Hinweis, dass er heute aber ziemlich räudig aussehe. Christian Seel erwiderte breit lachend: "…und Du ziemlich kahl!" So sind sie halt, die Katernberger: Hart aber herzlich! Martin war’s auch, der mich hintergründig lächelnd auf den doch überdurchschnittlichen Nahrungsmittelverbrauch von Christian Scholz verwies. Tja, irgendwie muss die Maschine ja geölt werden!
Sarah war derweil mit der Simultanveranstaltung beschäftigt. Die Kids gegen die sie spielte, hatten sich zum Teil mit Teddys bewaffnet. Ich hätte vermutlich bereits aus Rührung alle Punkte abgegeben. Doch Sarah zog das cool durch und ich bin froh, dass unsere Nationalspielerin nach ihrer schwierigen Zeit bei der Schacholympiade in Dresden wieder oben auf ist. Immerhin hat die sympathische Gelsenkirchenerin jüngst wieder den einen oder anderen Großmeister auf der Pfanne gehabt.
Doch zurück in den Spielsaal:
Nazar und Martin spielten jeweils einen hübschen Ball. Nazar erarbeitete sich dabei frühzeitig einen zentralen Freibauern, der die mitgebrachten Engines deutlich zu seinen Gunsten ausschlagen ließ. Ähnlich solide spiele Parimarjan, der sich mit dem deutschen Nationalspieler Daniel Fridman auseinander setzten musste.
Eine faustdicke Überraschung war dann der Blitzbesuch meines lieben Trierer Kollegen Stefan Müllenbruck, der neben einem seiner Spieler auch unseren Matthias im Schlepptau hatte. Von hier noch einmal besten Dank für den Service!
Zu diesem Zeitpunkt kämpfte Alexander am Spitzenbrett um den Ausgleich. Sein Gegner, der Franzose Vachier-Lagrave, griff am Königsflügel an und es entwickelte sich eine interessante Abwehrschlacht.
Leicht besorgniserregend war auch der Zeitverbrauch von Viktor nach seiner insgesamt doch sehr merkwürdigen Eröffnungsbehandlung des Wolga-Gambits.
Vladimir hatte ebenfalls Probleme. Seine Position war ziemlich passiv und sein Gegner drohte mit verdoppeltem Turm bereits massiv damit, in seine Stellung einzudringen.
Die übrigen Partien dümpelten noch im Remishafen. Jedenfalls schien es so, dass sich weder Christian Scholz noch Christian Seel auf hohe See begeben wollten.
Ich hatte dafür vollstes Verständnis, denn gegen Mülheim kann man leicht in Seenot geraten. Man frage die 2. Mannschaft!
Apropos "christliche Seefahrt":
Nazar geriet gegen Vadim Malakhatko nach rund 2 Stunden Spielzeit in schwere See. Dabei zog auch seine Schaluppe ziemlich viel Wasser. Andererseits kennen wir ja unseren Vorzeigeukrainer, der sich erst im Dogfight so richtig wohlfühlt. Die Wellen können da nicht hoch genug sein.
Das erste Remis des Tages kam dann in der Partie Berelovich gegen Senff. Martin wollte dabei kein unnötiges Risiko eingehen. (0,5:0,5). Mit gleichem Ergebnis endete kurz danach auch die Partie Negi gegen Fridman. (1,0:1,0). Damit waren allerdings bereits zwei meiner ursprünglichen Hoffnungsträger eliminiert.
Das nächste Remisangebot folgte am 6. Brett in der Begegnung Seel gegen Levin. Christian dachte ein paar Minuten nach und entschied sich dann aber doch dafür, die Offerte fürs Erste abzulehnen.
Ein wenig später musste sich allerdings Viktor geschlagen geben und Mülheim ging alles in allem verdient in Führung. (1,0:2,0).
Dass Katernberg allerdings nicht chancenlos war, bewies kurz darauf unser Goldkind Nazar. Sein mit den schwarzen Figuren vorgetragener Angriff erwies sich wieder einmal als unwiderstehlich. (2,0-2,0).
An Brett 1 fand dann auch die Partie Vachier-Lagrave gegen Alexander Motylev ein friedliches Ende. (2,5:2,5). Ebenso lief es in der Partie Seel gegen Levin. (3,0:3,0).
Leider zog sich zwischenzeitlich Dr. Christian Scholz gegen Mihail Saltaev einen Qualitätsverlust zu und da Vladimir gegen Konstatin Landa mit ungleichfarbigen Läufern und je einem Turm ziemlich ausgeglichen stand, schien sich der Kampf nun doch noch leicht zu Gunsten unserer Mülheimer Gäste zu neigen. Doch beide Katernberger sind ja als gewissenhafte Arbeiter bekannt. So schnell schmeißen die ihre Schusswaffe nicht die Cerealien.
Christian musste dann aber doch relativ schnell aufgeben. (3,0:4,0).
Jetzt hing alles an Vladimir. Der eine oder andere Spitzenspieler sah ihn sogar schon fast auf der Siegerstraße. So recht glauben wollte ich es aber eigentlich nicht; erst als er zwischenzeitlich einen Bauern gewann, keimte auch bei mir ein wenig Hoffnung auf.
Doch die Stellung war sehr komplex und niemand wagte wirklich eine Wette auf den Ausgang der Partie. Es war zweifelsohne eine sehr spannende Sache geworden Schon erstaunlich, dass wir gegen nominell so überlegene Gegner stets so gut mithalten können.
Im Verlaufe der nächsten Stunde holte Landa ein Stück auf und konnte seinen freien A-Bauern in Szene setzen. Dann konterte Vladimir wiederum durch exakte Turmmanöver. Eine bärenstarke Partie.
Während dessen spielten Jürgen Göldenboorg und ich noch eine alte Partie zwischen Chandler und Unzicker nach. Man gönnt sich ja sonst nichts. Schachspieler sind doch ein verrücktes Völkchen!
Gegen 21.30 Uhr beschleunigten beide Spieler dann die Partieführung. Die permanente Zeitnotphase setzte ein. Landa nutzte die Gunst der Stunde und führte einen Turmtausch herbei. Danach blieben ungleichfarbige Läufer und je zwei Bauern auf dem Brett. Vladimir hatte dabei allerdings aufgrund zwei zusammenhängender Bauern und dem Umstand, dass Landas Läufer zunächst nicht mehr recht bewegungsfähig in der Ecke stand, eine strukturell bessere Stellung. Die Remisbreite schien mir aber immer noch nicht überschritten zu sein.
Und so kam es dann auch. Das Unentschieden war trotz der intensiven Bemühungen unseres ehrgeizigen Belgorussen nicht mehr zu vermeiden. Mülheim gewann schlussendlich (vielleicht ein wenig glücklich) mit 4,5:3,5. Herzlichen Glückwunsch nach Mülheim!
Katernberg verkaufte sich wieder einmal gut, auch wenn’s nicht ganz gereicht hat. Hier noch einmal die Einzelergebnisse in der Gesamtschau:
Brett | SF Katernberg | 3,5 - 4,5 | SV Mülheim-Nord |
---|---|---|---|
1 | GM Alexander Motylev | ½ - ½ | GM Maxime Vachier-Lagrave |
2 | GM Viktor Laznicka | 0 - 1 | GM Pavel Tregubov |
3 | GM Vladimir Chuchelov | ½ - ½ | GM Konstatin Landa |
4 | GM Pariamrjan Negi | ½ - ½ | GM Daniel Fridman |
5 | IM Nazar Firman | 1 - 0 | GM Vadim Malakhatko |
6 | IM Christian Seel | ½ - ½ | GM Felix Levin |
7 | IM Martin Senff | ½ - ½ | GM Alexander Berelovich |
8 | IM Christian Scholz | 0 : 1 | GM Mihail Saltaev |
Beim gemeinsamen Abendessen, gab’s wie immer nette Gespräche und interessante Diskussionen (u. a. über Christian Seels Leserbrief in der Zeitschrift Schach, in dem er seine Ansichten zur Zukunft der Bundesliga kundgetan hatte). Der Tag klang dann mit einem Plausch in der Hotelrezeption aus.
Und – oh Wunder – ich konnte doch tatsächlich sofort einschlafen! Ich vernahm kein Getobe aus den Nachbarzimmern und die Mafia-Thriller konnten auch im Koffer bleiben. Lag natürlich nur an der guten Essener Luft!
Der nächste Tag brachte für mich zunächst einmal einen Shoppingausflug in meine alte Heimat. Ich brauchte noch zwei Hosen (für kleine dicke Ullis!). Außerdem fanden sich noch eine DVD für meine Sammlung und ein Weihnachtsgeschenk für meine Liebste. Also ein erfolgreicher Vormittag. Konnte so weiter gehen.
Gegen die SF Berlin ging’s mit der gleichen Farbverteilung wie am Freitag los. Für IM Christian Scholz trat nun allerdings IM Matthias Thesing in die Startlöcher.
Diesmal fanden wir uns in der an sich ungewohnten Favoritenrolle wieder. Berlin stellte GM Polzin, IM Lauber, Schneider, IM Berndt, FM Degtiarev, IM Thiede, Abel und FM Rudolf auf.
Die Zuschauerresonanz war am Anfang leider etwas Mau. Dafür wurde die Live-Kommentierung, die diesmal FM Bernd Rosen übernahm, gut angenommen.
Nach der Dresdenregel hätten wir übrigens gleich zu Beginn mit 2 Punkten im Rückstand gelegen. Offenbar gehen die Uhren in Belgien und Indien doch irgendwie anders!
Sei’s drum.
Jedenfalls spulte Parimarjan in der Folgezeit seine Eröffnungszüge fast im Blitztempo ab. Es schien, als wolle er die Verspätung rückgängig machen und erzielte dabei eine sicherlich leicht vorteilhafte Mittelspielstellung mit Angriffsressourcen gegen den anfangs ebenfalls schnell ziehenden IM Berndt. Ansonsten sah ich zunächst mehr oder minder ausgeglichene Stellungen. Die Partieanlagen versprachen an sich aber einen interessanten Nachmittag.
Nach gut 2 Stunden das gleiche Bild. "…Vielleicht ein hauchdünnes Plus für Berlin, irgendwo zwischen 0,13 und 0,37 Bauerneinheiten…", scherzte ich auf eine Nachfrage eines Schachfreundes, wie wir denn stünden. Augenscheinlich war unser Elo-Übergewicht also noch nicht spürbar.
Alexander, der mit Schwarz gegen GM Polzin spielte, konnte zu diesem Zeitpunkt allerdings seine etwas undynamisch wirkende Stellung leicht verbessern. Land war allerdings noch nicht in Sicht.
Irgendwie erwartete der Katernberger Anhang, dass einer unser Spieler endlich mal den Turbo anschalten würde. Doch es geschah nichts in diese Richtung, was unseren Bundesligaobmann Werner Nautsch wiederum leicht pessimistisch in die Zukunft blicken ließ.
An Brett 7 wiederholten sich dann nach 3 Stunden die Züge. Dennes Abel und Martin Senff erspielten damit das erste Remis des Tages. (0,5:0,5). Verlauf und Ergebnis dieser Partie spiegelten ungefähr die bislang etwas zähflüssige Entwicklung des heutigen Kampfes wieder. Im Prinzip musste man unsere Berliner Freunde aber zu ihren kompakten Partieansätzen beglückwünschen. Mannschaftsführer Rainer Polzin schien bei seinem Rundgang jedenfalls zumindest nicht unzufrieden zu sein.
Um 17:15 Uhr kam plötzlich Matthias herangestürmt und sagte mir, dass er seine Position vermasselt habe.
Na toll! Das auch noch!
Allerdings fügte er zögerlich hinzu, dass er noch Chancen auf ein Remis hätte.
Nunja.
Kurz danach hatte ich allerdings den Eindruck, dass wir langsam zum Baden kamen.
Vladimir, der mit Schwarz dem agilen Ilja Schneider gegenüber saß, gelangte endlich in eine Stellung, die ihm zu liegen schien. Auch Parimarjan arbeitete sich Zug um Zug nach Vorne.
Ob allerdings die Stellungsöffnungen bei Alexander und Viktor (der die weißen Steine führte und sich mit dem IM Arnd Lauber auseinander setzen musste) so gut waren, vermochte ich bei oberflächlicher Ansicht nicht zu sagen.
Aber dennoch. Die Waage neigte sich langsam zu unseren Gunsten; zumindest visuell.
Während dessen konnte ich bei Matthias wieder Entwarnung geben. Seine Stellung sah nach einem von ihm angebotenen Springeropfer imposant aus.
Ob mich der Schlingel nur erschrecken wollte? Jedenfalls machte er kurz darauf den 1. Punkt für Katernberg! (1,5:0,5).
Und endlich schien sich auch der Knoten zu lösen.
Viktor gelang es doch noch, seinen Gegner zu überspielen. (2,5:0,5).
Aber wie das so mit gelösten Knoten ist. Die öffnen sich gewöhnlich nach zwei Seiten.
Plötzlich hatten auch wir in zwei Endspielen etwas schlechtere Aussichten. Christian Seel stand gegen IM Lars Thiede zweifelhaft und auch Vladimirs Turmendspiel passte mir nicht. Außerdem schwebte Alexander in ständiger Gefahr, in dynamischer Stellung die Zeit zu überschreiten, was allerdings seinem unbändigen Siegeswillen keinen Abbruch tat.
Das Remis von Vladimir, das kurz danach eintrudelte, versöhnte mich aber wieder. (3,0:1,0). Außerdem stand endlich auch Nazar gegen FM Evgeny Degtiarev besser und Parimarjan hatte mindestens Remis.
Nach knapp 4½ Stunden erspielte sich dann Nazar seinen mittlerweile hochverdienten Siegespunkt (4,0:1,0), was Christian Seel dazu bewog, seinem Gegner Remis anzubieten und den Sack damit quasi zuzumachen.
Der Kampf war vollends zu unseren Gunsten gekippt.
Derweil bastelte Alexander munter an einem Mattnetz. Der mittlerweile als potenzielle Dame parat stehende weiße Bauer auf f7 konnte einem fast leid tun. Immer, wenn er sich zur Geschlechtsumwandlung anschickte, ging’s nicht. Als dann wirklich nichts mehr half, ließ sich der generöse Rainer Polzin dann effektvoll Matt setzen. (5,0:1,0). Die Zuschauer dankten es ihm mit entsprechenden Applaus.
Auch Parimarjan wollte sich diesmal keinesfalls mit Remis zu Frieden geben. Gegen 18.45 Uhr hatte er es dann endlich geschafft und holte sich auch einen Skalp. (6,0:1,0). Kurz danach kam dann mit dem Remis von Christian tatsächlich der Schlussgong. (6,5:1,5).
Brett | SF Katernberg | 6,5 - 1,5 | SF Berlin 1903 |
---|---|---|---|
1 | GM Alexander Motylev | 1 - 0 | GM Rainer Polzin |
2 | GM Viktor Laznicka | 1 - 0 | IM Arnd Lauber |
3 | GM Vladimir Chuchelov | ½ - ½ | Ilja Schneider |
4 | GM Pariamrjan Negi | 1- 0 | IM Stephan Berndt |
5 | IM Nazar Firman | 1 - 0 | FM Evgeny Degtiarev |
6 | IM Christian Seel | ½ - ½ | IM Lars Thiede |
7 | IM Martin Senff | ½ - ½ | Dennes Abel |
8 | IM Matthias Thesing | 1 - 0 | FM Henrik Rudolf |
Ein in der Höhe vielleicht etwas zu deutlicher Pflichtsieg – aber zwei wichtige Mannschaftspunkte.
Der Abend verlief natürlich völlig gelöst. Zwar mussten wir uns zunächst ein bisschen gedulden, bis wir unseren Tisch hatten, doch das beeinträchtigte die Stimmung kaum. Ein wenig frustriert war ich allerdings, als mich Parimarjan nach entsprechender Aufforderung auf schließlich 67 Lenze schätzte, was natürlich für zusätzliche Erheiterung im Team sorgte. Andererseits hätte es schon seine Vorteile, ins Rentenalter versetzt zu werden, zumal bei vollen Bezügen! Ich werde mal mit meinem Arbeitgeber sprechen!
Wie auch immer. Um 22.00 Uhr war Schicht im Schacht. Die Jungs wollten sich gegen Hamburg vorbereiten. Außerdem boxte Witali Klitschko; so was darf man sich natürlich nicht entgehen lassen!
Das vortägliche 4:4 gegen Mülheim motivierte unsere Hamburger Freunde natürlich zusätzlich; aber sie waren ja auch mit einem bärenstarken Team angereist: GM Gustafsson, GM Kempinski, GM Wojtaszek, GM Ftacnik, GM Hansen, GM Müller, IM Heinemann und IM Beikert.
Wir erwarteten also einen heißen Tanz, zumal es uns in der Vergangenheit noch nie gelungen war, gegen die Hansestädter zwei Mannschaftspunkte einzuheimsen. Diesmal wollten wir aber mindestens einen Punkt holen, denn im Gegensatz zur Vorjahresbegegnung ging es eben nicht um die goldene Ananas.
Wir gingen unverändert in Rennen. Never change a winning Team! Allerdings müssen wir wirklich noch an der Pünktlichkeit unserer Mannschaft arbeiten.
Während Hamburg schon am Brett saß, erschien das Gros meiner Crew erst 3 Minuten nach dem Anpfiff. Es hätte also schon 6:1 für die Hansestadt gestanden, wenn die olympischen Regeln zur Anwendung gekommen wären.
Ein großes Lob an meinen lieben Kollegen Ahrens und die Disziplin der Hamburger Mannschaft!
Blieb zu hoffen, dass uns die Leistungsabfrage in den letzten beiden Kämpfe nicht doch noch in den Knochen steckte und Hamburg nach dem Kraftakt vom Vortage vielleicht auch ein bisschen müde war.
Mit der Eröffnungsbehandlung meines Teams war ich aber eigentlich ganz glücklich, wobei Matthias gegen IM Beikert sogar (vor allerdings sonntäglich verschlafener Zuschauerkulisse) die Qualität gegen einen Bauern gewinnen konnte.
Leider bekam ich’s nicht sofort mit, da sich das Organisationsteam noch zu einer spontanen Besprechungsrunde zusammenfand. Doch natürlich lief die Liveübertragung im Hintergrund mit.
Christian Seel wiederholte mit Schwarz gegen GM Müller eine Variante an der sich am Vortage bereits Martin Senff versucht hatte. Das sich daraus ergebende schnelle Remis passte mir denn auch ganz gut in den Kram. (0,5:0,5).
Matthias Partie entwickelte sich derweil zu einer ganz heißen Kiste. Er gewann dabei aber weiteres Material und wir glaubten zuerst nicht daran, dass der Angriff, den sein Gegner einleitete, wirklich durchschlagen würde.
Spaß hatte ich auch an der Partieführung von Alexander, der sich gegen den bärenstarken Nationalspieler GM Gustafsson auseinander setzte.
Probleme schien hingegen Viktor zu haben. Er spukte die Qualität. Wie er uns am Vortag gestand, spielt er ohnehin ungern gegen polnische Kollegen. Nicht, dass er nationalistische Vorbehalte hätte. Im Gegenteil. Nur wäre sein Score halt so erbärmlich schlecht gegen Polen. Nun, er hatte ja immer noch die Chance, seine Bilanz entscheidend zu verbessern.
Kritisch war auch der ernorm hohe Zeitverbrauch von Vladimir. Offenbar schien er gegen GM Wojtaszek nicht das richtige Rezept zu finden. Die Stellung war insgesamt gesehen allerdings wohl noch in Ordnung.
Die übrigen Partien waren ziemlich ausgeglichen; zumindest hatte ich beim schnellen Überblick keinen schlechten Eindruck. Nazar stand dabei gegen GM Hansen einen Hauch schlechter; dafür schienen die Endspieloptionen von Parimarjan gegen GM Ftacnik günstiger zu sein.
Alexander lies kurz danach eine Remisabwicklung zu, die Gustafsson offenbar gerne annahm. (1:1).
Ein wenig später einigte sich auch Martin mit IM Heinemann auf Remis. (1,5:1,5).
Nach 2½ Spielstunden ergab sich somit ein fast ausgeglichener Wettkampf, wobei man Hamburg bei objektiver Betrachtung sicher einen zarten Vorteil einräumen musste.
Zu meinem Schrecken verbaselte sich Matthias nachfolgend ziemlich kräftig. Er musste seine Dame gegen Turm und Läufer geben. Damit wandelte sich meine zweckoptimistische Gesamteinschätzung deutlich, zumal Vladimir auch nicht mehr gut stand.
Shit.
Hamburg schien uns doch wieder zu überflügeln.
Meine Befürchtungen materialisierten sich, als Vladimir unter hohem Zeitdruck dann doch noch in das allerdings geschickt konstruierte Mattnetz seines Gegners lief (1,5:2,5) und Parimarjan nur ein Remis herausholte (2,0:3,0). Kurz danach gab dann auch noch Matthias auf (2,0:4,0).
Jetzt hieß es kämpfen, auch wenn ich nicht mehr wirklich daran glaubte, den Mannschaftskampf noch mit dem erwünschten Ergebnis beenden zu können. Nazar stand höchstens auf Remis und Viktor hatte immer noch die Qualle weniger.
Viktor gab schließlich zur Zeitkontrolle entnervt auf. (2,0:5,0).
Nazar kämpfte zwar noch ein wenig, doch sein Remis war nur noch Makulatur. (2,5:5,5).
Das Derby hatte wohl doch einfach zuviel Kraft gekostet.
Brett | Hamburger SK | 5,5 - 2,5 | SF Katernberg |
---|---|---|---|
1 | GM Jan Gustafsson | ½ - ½ | GM Alexander Motylev |
2 | GM Robert Kempinski | 1 - 0 | GM Viktor Laznicka |
3 | GM Radoslav Wojtaszek | 1 - 0 | GM Vladimir Chuchelov |
4 | GM Lubomir Ftacnik | ½ - ½ | GM Pariamrjan Negi |
5 | GM Sune Berg Hansen | ½ - ½ | IM Nazar Firman |
6 | GM Karsten Müller | ½ - ½ | IM Christian Seel |
7 | IM Thies Heinemann | ½ - ½ | IM Martin Senff |
8 | IM Dr Guenther Beikert | 1 - 0 | IM Matthias Thesing |
Glückwünsche nach Hamburg!