Gastspiel in Aue

Geschrieben am 11.10.2010 von Ulrich Geilmann

Willkommen in Aue - und in der Bundesliga!Dass wir zum Saisonstart inzwischen mit schöner Regelmäßigkeit essentielle Aufstellungssorgen haben, lässt mich inzwischen eigentlich eher kalt. Dieses Jahr war es aber wirklich mehr als schwierig, das Team zusammenzustellen. Lange ist völlig unklar gewesen, wie die Mannschaft nun aussehen würde und vieles klärte sich quasi erst in der allerletzten Minute. Das Organisationsteam hatte diesmal jedenfalls gut zu tun.

Aber sei's drum: Das schöne Städtchen Aue, eines der Reiseziele, die man vom Ruhrgebiet aus nur mit erheblichem Zeitaufwand erreicht, entschädigte ein wenig für den Stress. Auch das von unseren freundlichen Gastgebern wärmstens empfohlene Hotel gefiel, so dass die Mannschaft am Freitag doch noch mit entspannendem Begleitprogramm (Dinner mit anschließendem Fußballländerspiel) in die für die saisonale Positionsbestimmung so wichtigen Begegnungen gegen Bayern und Aue startete.

Allerdings registrierten wir kurz vor dem Schlafengehen noch, dass Nickelhütte Aue mit einem glatten 6:2-Sieg über Bayern-München triumphierte, was aufhorchen ließ.

Hotel Blauer EngelDer Samstag begann für mich dann mit dem üblichen Besichtigungsprogramm. Ich genieße die frühen Stunden vor den Wettkämpfen. Da heißt es nach einer meist schlafarmen Hotelnacht erstes Lokalkolorit schnuppern. Schließlich kommt man nicht alle Tage nach Aue.

Leider verpasse ich dadurch manchmal das gemeinsame Frühstück, aber man muss halt Prioritäten setzen. Gleichwohl war die Stimmung der Mannschaft gelöst. Ja, man scherzte dem Vernehmen nach sogar schon darüber, dass mein Frustrationspegel in den letzten Tagen wohl vermutlich bereits am roten Bereich gekratzt habe.

Undankbare Meute! Nächstes Mal buche ich für Euch auf dem Zeltplatz!

Das Spiellokal lag nur ein paar Autominuten vom Hotel entfernt und um 14.00 Uhr begann dort dann nach einem kleinen schachpolitischen Plausch der Tanz mit den Bayern aus München. Nominell ein Duell zweier etwa gleich starker Teams:

Brett Bayern München ELO   SF Katernberg ELO
1 Bromberger 2530 - Volokitin 2661
2 Schenk 2519 - Bischoff 2553
3 Boensch 2520 - Zaragatski 2490
4 Renner 2420 - Ris 2416
5 Belezky 2454 - Thesing 2432
6 Meister 2446 - Dr. Scholz 2387
7 Meissner 2401 - Kotainy 2343
8 Deglmann 2397 - Rosen 2353

Die äußeren Rahmenbedingungen waren übrigens erste Sahne. Ein zuschauerfreundlicher Turniersaal, Live-Kommentierung, gediegenes Ambiente und ein schmackhaftes Catering. Ein durchaus gelungener Einstand für unsere Gastgeber!

Die aus meiner Sicht reizvollste Eröffnungsvariante spielte Jens. Er setzte auf das altehrwürdige Königsläuferspiel (1.e4 e5 2.Lc4) und erspielte sich damit zunächst auch tatsächlich einen netten Entwicklungsvorsprung, der ihm fast die gesamte Partie über ein sorgenfreies Spiel garantieren sollte.

Andrei bezahlte in einem Marshallgambit als Weißer den Mehrbauern mit dem üblichen Entwicklungsnachteil.

Während dessen entsponnen sich im Vorraum erste Gespräche rund um das königliche Spiel: So fragte einer der Mülheimer Spieler, wo sich denn die Raucherzone befinde: Darauf sein Teamchef Daniel Friedman trocken: „In Zwickau – auf dem Bahnhof!". Zur allgemeinen Erheiterung trug auch die überlieferte Nachfrage eines wohl etwas unbedarften Pressevertreters bei, der sich danach erkundigte, wann die Spieler mal Pause machen würden, damit er sie besser interviewen könne. Die launige Antwort: „Nach dem Seitenwechsel!".

Doch zurück zum Kampf: Nach guter einer Stunde wurden erste Konturen sichtbar. So erarbeitete sich unser Matthias einen durchaus attraktiven Stellungsvorteil. Viele Partien dümpelten aber mehr oder weniger im Remishafen herum, wobei Klaus allerdings immer noch etwas dem Anzugsvorteil nachzulaufen schien.

Um 16.00 Uhr erspielte sich dann Bernd verdient das erste Remis des Tages. (0,5:0,5). Parallel dazu geriet allerdings Andrei in gewisse strukturelle Probleme, als Stefan Bromberger ein sehenswertes Scheinopfer seines Läufers auf's Brett zauberte. Dies schien aber wiederum Klaus zum Anlass zu nehmen, die Zügel hübsch anzuziehen.

TurniersaalDer Kampf war damit eindeutig in seine heiße Phase eingetreten, was zum Teil auch an den Nerven des Katernberger Organisationsteams zerrte. Dabei befand sich zu diesem Zeitpunkt zumindest noch die Partie von Christian in dynamischem Gleichgewicht.

Etwas sorgenvoller blickte ich hingegen auf die Partien von Ilja und Robby. Irgendwo behagten mir die Endspielstellungen nicht so recht, obgleich die Beiden ihre Züge eigentlich ziemlich cool abspulten. Nun ja, vielleicht sehe ich mittlerweile einfach zu viele Gespenster!

Wider Erwarten war dann doch Matthias der zweite Remiskandidat. (1,0:1,0). Schade, irgendwie fand er nicht den richtigen Weg, seine an sich wohl gute Stellung umzusetzen.

In einem kleinen Zeitnotdrama sprengte sich dann aber plötzlich der heuschnupfengeplagte Ilja in die Luft und auch Klaus bockte sich wieder zurück in den Ausgleich. Dafür sorgte Robby für ein Überraschungsmoment, als er seinen Gegner wie aus dem Nichts k. o. boxte. (2,0:1,0). Kurz danach schob sich wiederum Christian eigenhändig zusammen. (2,0:2,0). Alles nix für schwache Nerven.

Nach der ersten Zeitkrontrolle stand es also Unentschieden. Allerdings konnte ich sehr optimistisch in die Zukunft schauen: Okay - Ilja stand zwar total breit, doch dafür war bei Andrei inzwischen wieder ein Mehrbauer auf Brett. Außerdem hatte sich Jens mittlerweile einen komfortablen Vorteil erarbeitet und die Stellung von Klaus war mehr oder minder im Gleichgewicht. Eigentlich konnte also nicht mehr schief gehen.

Kurz nach Halbsieben fügte sich Ilja schließlich wie vorausgeahnt ins Unvermeidliche. Die bereits prophezeite Führung für Bayern! (2,0:3,0).

Kurz danach setzte sich Klaus aber wieder in Szene, als er seinen Gegner nach einem Positionsfehler wirkungsvoll blockierte und seinen a-Bauern laufen ließ. Für den opferte sich zwar noch der weiße Läufer doch das half irgendwie auch nicht mehr so richtig.

Jens Kotainy18.40 Uhr. Ausgleichstor von Jens (der heute einmal mehr eine riesige Partie spielte) und zeitgleich die (mittlerweile hoch verdiente) Führung durch Klaus. (4,0:3,0). Dessen ungeachtet stand Andrei mit seinem Materialvorteil inzwischen quasi unkaputtbar, so dass der erste Katernberger Saisonsieg nun wirklich in greifbare Nähe rückte.

Allerdings war mir auch klar, dass sich Andrei nicht mit einem Remis zufrieden geben würde. Und so kam es dann auch. Endstand: 5,0:3,0! Sauber!

Brett Bayern München SF Katernberg Ergebnis
1 Bromberger Volokitin 0 : 1
2 Schenk Bischoff 0 : 1
3 Boensch Zaragatski 1 :0
4 Renner Ris 0: 1
5 Belezky Thesing ½ : ½
6 Meister Dr. Scholz 1 : 0
7 Meissner Kotainy 0 : 1
8. Deglmann Rosen ½ : ½

So was wird von den Katernbergern natürlich mit erlesenen Speisen, Liebesdienerinnen, gediegenen geistigen Getränken, Pomp und Feuerwerk gefeiert. August der Starke, der alte Sachsenkönig, hätte seine Freude gehabt.

Nee, is klar!


Nach einer erholsamen (!) Nacht und einem Kraftfrühstück ging es dann unter Abwicklung der üblichen Formalitäten um 10. Uhr gegen Nickelhütte Aue. Und die hatten nach ihrer Vortagsniederlage (3½:4½) gegen unseren Reisepartner Mülheim erwartungsgemäß wieder aufgerüstet:

Brett SF Katernberg ELO   Nickelhütte Aue ELO
1 Volokitin 2661 - Onischuk 2688
2 Bischoff 2553 - Meijers 2502
3 Zaragatski 2490 - Slobodjan 2556
4 Ris 2416 - Oral 2533
5 Thesing 2432 - Petr 2468
6 Dr. Scholz 2387 - Gaponenko 2469
7 Kotainy 2343 - Spiess 2429
8 Rosen 2353 - Eichner 2323

Insgesamt realisierte Aue damit einen im Durchschnitt leichten Elovorteil am Brett. Die mitgereiste Katernberger Fankurve (Vater Volokitin, Ingrid Lauterbach und Werner Nautsch) konnte sich damit auf einen interessanten Tag freuen.

Die Eröffnungsphase bekam ich diesmal leider nicht unmittelbar mit, da ich zunächst Gepäck verstauen und danach zurück ins Hotel musste (einer unserer Spieler hatte versehentlich seinen Zimmerschlüssel mitgenommen); aber durch das neue Live-Portal der Schachbundesliga war ich schnell wieder auf dem neuesten Stand: Keine besonderen Vorkommnisse. Alle Partien im grünen Bereich.
An dieser Stelle also nochmals herzlichen Dank an die mustergültig agierende Kampfleitung.

Nach gut einer Stunde sah sich Matthias einem positionelle Läuferopfer auf e6 ausgesetzt, das deshalb zunächst besonders gefährlich schien, weil sein König noch nicht rochiert hatte: 1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sd2 c5 4. exd5 Dxd5 5. Sgf3 cxd4 6. Lc4 Dd6 7. O-O Sf6 8. Sb3 Sc6 9. Sbxd4 Sxd4 10. Sxd4 a6 11. Te1 Ld7 12. c3 Dc7 13. De2 Ld6 14. h3 Lh2 15. Kh1 Lf4 16. Lxf4 Dxf4 17. Lxe6... Nach dem dann folgenden 17. ...fxe6 18. Sxe6 Lxe6 19.Dxe6+ Kf8 20.De7+ Kg8 21.Dxb7 Db8 22.Te7 Dxb7 23.Txb7 h5 wusste ich zunächst auch nicht so recht, wie die Stellung tatsächlich einzuschätzen war. Ausgleich?

Derweil konnten sich allerdings Christian, Bernd und Jens minimale Stellungsvorteile erarbeiten, so dass sich meine Aufmerksamkeit wieder aufteilte.

Andrei VolokitinAndrei hatte sich inzwischen in gefährliches Fahrwasser begeben. 1. d4 Sf6 2. c4 e6 3. Sf3 b6 4. g3 Lb7 5. Lg2 Lb4 6. Ld2 Lxd2 7. Sbxd2 c5 8. e4 Sxe4 9. Se5 d5 10. cxd5 exd5 11. Da4+ Ke7 12. Sxe4 dxe4 13. Td1... und soweit ich sehen konnte, musste sich auch Ilja mit einer schwierigen Stellung herumschlagen; zumindest hatte sein Gegner einen deutlichen Raumvorteil und zudem stand Ilja's Dame etwas verloren hinter den feindlichen Linien.

Derweil kam Jens zu mir und äußerte die Befürchtung, dass seine Stellung durch drohende Abtausche zum Remis verflachen könnte. Ich sah das nicht so. Er hatte seinem Gegner doch zumindest bereits einen Doppelbauern und damit eine deutliche strukturelle Schwäche verpasst. Außerdem ergab sich ein nicht zu unterschätzender psychologischer Vorteil, der darin bestand, dass sich sein deutlich älterer und elostärkerer Spielpartner bereits mit den weißen Steinen im Nachteil befand. Das macht innerlichen Druck. Also riet ich ihm, cool zu bleiben und seinen Stiefel weiter durchzuziehen.

Kurz nach meiner mittäglichen Nahrungsaufnahme bot Klaus nach einem zweitklassigen Königszug ein wirklich zuckersüßes Läuferopfer an. Sein Gegner hatte danach offenbar nur noch die Wahl zwischen Scylla (Damenverlust) und Charybdis (Qualitäts-/Figurenverlust). Damit war die inzwischen als katastrophal zu bezeichnende Position von Andrei im höheren Sinne wieder ausgeglichen.

Insgesamt hatte ich zu diesem Zeitpunkt also ein ganz gutes Gefühl. Katernberg kämpfte; aber eben nicht verbissen, sondern ehrgeizig. Konnte man nicht auch bereits eine gewisse Spielmüdigkeit bei unseren Freunden aus Aue erkennen? Schließlich war das für einige Spieler schon die dritte schwere Partie in Folge. Nun ja, man würde sehen. Jedenfalls gingen erstmal die Sachsen mit einem verdienten Sieg am ersten Brett um 13.00 Uhr in Führung. (0:1).

Klaus BischoffEine halbe Stunde später glich dann Klaus aus. (1:1).

Die Zeitnotphase sah dann noch 6 laufende Partien. Dabei hatte Bernd inzwischen allerdings einen Klotz mehr. Dann half Caissa nach. Ilja's Gegner überschritt in komplizierter Stellung die Zeit. Damit ging Katernberg erstmalig in Führung! (2:1). Kurz danach erspielte sich dann Jens das mehr als verdiente Remis. (2½: 1½).

So... nach der ersten Zeitkontrolle war erstmal Durchatmen angesagt. Im Prinzip lief's aber gut für uns. Die Endspiele von Robby, Matthias und Christian waren ausgeglichen und Bernd hatte zwar einen Bauern weniger, aber dafür einen Springer mehr. Okay. Robby machte danach schnell Remis (3:2) und kurze Zeit später hatte dann auch Bernd's Gegner genug. (4:2). Den Sack machte schließlich Matthias mit seinem Remis zu. (4½:3½). Yes!!!

Den Schlussstrich zog dann Christan. Er konnte es schließlich dann doch nicht über's Herz bringen, seine charmante Gegnerin zu schlagen. Die Partie endete friedlich. (5:3).

Brett SF Katernberg Nickelhütte Aue Ergebnis
1 Volokitin Onischuk 0 : 1
2 Bischoff Meijers 1 : 0
3 Zaragatski Slobodan 1 : 0
4 Ris Oral ½ : ½
5 Thesing Petr ½ : ½
6 Dr. Scholz Gaponenko ½ : ½
7 Kotainy Spiess ½ : ½
8 Rosen Eichner 1 : 0

Vorhang! Applaus! Weiß Gott... Ein gutes Wochenende und ein optimaler Saisonstart für Katernberg! Das macht die Anlaufschwierigkeiten mehr als vergessen... Wie meinte Mattes doch nach dem Kampf: „Siehste, wenn wir uns anstrengen ziehen wir auch Andrei locker mit durch!". Ich lass das mal so stehen...

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