50 Prozent: 2 Punkte und 8 Tore für SFK in Berlin

Geschrieben am 25.10.2005 von Bernd Rosen

Bundesliga 2005/2006, 1. Doppelrunde

AVolokitinndrei Volokitin, der mit Vater und Schwester bereits am Donnerstag in Berlin eingetroffen war, begrüßte mich am Freitagabend mit den Worten "Ich bin heute in sehr guter Laune!" Da ahnte ich noch nicht, für wieviel gute Laune er bei mir an diesem Wochenende noch sorgen würde.

Am gleichen Abend ließen wir uns "Captains Drink" und "Captains Dinner" gut schmecken, und es gab meines Wissens auch keine nächtlichen Eskapaden. Das Team war heiß - auf Schach, was denn sonst?

Als wir dann am Samstag um 14 Uhr im Pommernsaal des altehrwürdigen Charlottenburger Rathauses eintrafen (nur ein Spieler - wer wohl? - hatte den Treffpunkt verschlafen und kam zwei Minuten zu spät), staunten wir nicht nur über die tollen Reliefs und die zahlreichen Bilder von prominenten Berliner Naziopfern in den monumentalen Gängen des Hauses, sondern auch über den doch wenig publikumsfreundlichen Saal, für dessen Benutzung unsere Gastgeber dem Vernehmen nach auch noch 1000 Euro hinlegen mussten. Die kostenlose Bewirtung unserer freundlichen Gastgeber muss allerdings gelobt werden: Es gab diverse Getränke mit rustikalen Salaten und Buletten (so heißen Frikadellen in Berlin), angeboten und angepriesen in echt Berliner Sprache.

Ein Reliefband über den Köpfen unserer Spieler verkündete "Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten!" O weh! Gegen die Neuköllner hatten unsere acht Spieler - zusammengerechnet - nach der ersten Stunde der Spielzeit fast drei Stunden länger nachgedacht. Konnte das gut gehen?

EChuchelovt ging! Leonid Kritz konnte zwar gegen den gut vorbereiteten Rainer Polzin einen Generalabtausch nicht vermeiden, brachte aber das Damenendspiel sicher in den Remishafen. Vladimir Chuchelov gelang eine tolle Partie. Er eroberte gegen Stephan Berndt früh die Diagonale a7-g1, arbeitete mit der Dame auf c5 bzw. b6 nebst einem Springer auf g4 mit taktischen Drohungen (f2!) gegen den auf h1 zitternden weißen König und zertrümmerte den weißen Königsflügel, als sich auch noch der schwarze h-Bauer und der weißfeldrige Läufer auf b7 an der Königsjagd beteiligten. Wenig später erhöhte Christian Scholz auf 2,5:0,5, als Lars Thiede in hochgradiger Zeitnot in remisverdächtiger Stellung fehlgriff. Igor hatte nicht mehr als Remis in einem Turm/Läufer-Endspiel gegen Martin Borriss.

ASenffls ich Martin Senff um einige Stichworte zur Partie bat, bekam ich "Es war, wie Du immer schreibst." zur Antwort. Nun denn: Martin Senff gewann schon in der Eröffnung zwei Bauern, musste dafür allerdings zunächst Entwicklungsrückstand hinnehmen. Mit Geduld und der von ihm gewohnten Gründlichkeit baute er jedoch seine Position aus und setzte sich im Endspiel durch.

Am Spitzenbrett entschied Andrei Volokitin das Duell zweier ukrainischer Jungmeister für sich. Andrei ging die Partie gegen Evgenij Mirosnichenko gewohnt forsch an, konnte aber einen entlastenden Abtausch mehrerer Figuren nicht verhindern, so dass ein Turmendspiel entstand, bei dem ein baldiger Friedensschluss erwartet wurde. Der Olympiasieger aus Lviv war aber offenkundig mit Remis nicht zufrieden, und "knetete" sein Gegenüber mit immer neuen Manövern, die zu minimalen Vorteilen führten. Am Ende stand plötzlich ein Bauerngewinn, der die Partie entschied. Eine allseits bestaunte, bewunderungswürdige Endspielleistung, mit der Volokitin seine Zugehörigkeit zur Weltklasse unter Beweis stellte. Wir Katernberger waren baff! Was ist jetzt noch der Spruch von Werner Nautsch wert, der unentwegt behauptet, alle Turmendspiele seien remis! Ihr Schächer der Welt - schaut auf dieses (Berliner) Endspiel!

EErenburgs folgte ein Remis durch Sergey Erenburg, der bei seinem SFK-Debut ein schwieriges Damenendspiel gegen Stefan Brynell trotz eines Minusbauern sicher hielt. Den Schlusspunkt setzte der unglückliche Sebastian Siebrecht, der gegen die königsindische Verteidigung von Lars Thiede ein breit gefächertes Druckspiel aufgezogen und nach der Öffnung des schwarzen Königsflügels bereits eine strategische Gewinnstellung erreicht hatte. Die leidige Zeitnot hinderte ihn jedoch daran, den verdienten Lohn zu kassieren. Im Gegenteil: Ein gegnerischer Freibauer erzwang die Hergabe eines ganzen Siebrecht-Turms und letztlich auch des ganzen Punktes. Sebastian war danach untröstlich. Ich kann's verstehen: Mit heißem Herzen mutig gekämpft und doch verloren. Das tut weh.

Zum zweiten Punktspiel am Sonntagmorgen - erstmals erst um 10 Uhr beginnend - waren alle pünktlich. Leider konnte SFK nicht an die Leistungen vom Vortag anknüpfen und unterlag dem Berliner Spitzenclub SC Kreuzberg, der alle acht Bretter mit Großmeistern besetzt hatte, verdient mit 2,5:5,5.

MSiebrechtartin Senff remisierte schon frühzeitig gegen den als friedfertig bekannten Sergey Kalinitschev, bevor Sebastian Siebrecht einen im Zentrum durchbrechenden Bauern von Ralf Lau nicht halten konnte und nach Materialverlust aufgeben musste. Gegen den starken Ungarn Zoltan Almasi (der vor zwei Jahren immerhin Andrei Volokitin die erste Bundesliga-Niederlage beigebracht hatte) zeigte Sergey Erenburg erneut, dass er ein echter Gewinn für das SFK-Team ist: Er wickelte sicher zum Remis ab. Es folgte ein unglücklicher Verlust von Christian Scholz, der gegen Raj Tischbiereck in einer mutig geführten Partie bereits klaren Vorteil erzielt hatte, in Zeitnot aber "das ganze Nudelbrett" einstellte.

Als sich kurz drauf auch Leonid Kritz im Endspiel dem gewaltigen Läuferpaar des Polen Bartosz Socko beugen musste, war der Kampf gelaufen, zumal auch Andrei Volokitin, der am Spitzenbrett dem armenischen GM Levon Aronian, der Nr. 9 der Weltrangliste, einen beherzten Kampf geliefert hatte, seine Gewinnversuche einstellen und mit Remis zufrieden sein musste. Schließlich endeten auch die Partien von Vladimir Chuchelov (gegen Oleg Romanishin) und Igor Glek (gegen Jens-Uwe Meiwald) nach vergeblichen Gewinnversuchen mit Punkteteilungen.

KritzUnsere Hoffnungen, endlich einmal eine "große" Mannschaft zu schlagen, gingen somit leider wieder nicht in Erfüllung. In drei Wochen ergibt sich indes in Leipzig die Möglichkeit, durch Siege über die beiden derzeitigen Schlusslichter der Tabelle. SC Leipzig-Gohlis und SK Zehlendorf, einen Sprung in die Spitzengruppe zu machen.

Respekt übrigens vor unserem Reisepartner SV Mülheim-Nord, der dem SC Kreuzberg ein 4:4 abnahm und anschließend SF Neukölln in einem packenden Zeitnotfinale mit 4,5:3,5 besiegte (wobei Daniel Hausrath Ilja Schneider beim Stand von 3,5:3,5 niederblitzte). Für den Fall, dass der von mir hochgeschätzte Daniel jetzt in seinen Kommentierungen wieder - wie im Vorjahr - freudig darauf aufmerksam macht, dass Mülheim in der Tabelle - wie im Vorjahr - vor SFK liege, dann verweise ich darauf, dass wir unseren Mülheimer Freunden gerne im Verlauf der Saison den Vortritt lassen, solange wir - wie im Vorjahr - in der Schlusstabelle vor ihnen landen. Ich grüße euch, Daniel und Heinz!

An dem Ein-Punkt-Vorsprung der Mülheimer vor uns sollte sich in der nächsten beiden Runden eigentlich nichts ändern; bei unserem gemeinsamen Auftritt am 12. und 13. November in Leipzig sind wir gegen Leipzig-Gohlis und Berlin-Zehlendorf favorisiert. Ich warne allerdings immer vor Außenseitern: Wer hätte schon David eine Chance gegen Goliath eingeräumt?

Willi Knebel

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