Knapp vorbei ist auch daneben!

Geschrieben am 20.12.2003 von Bernd Rosen

TV Tegernsee schlägt SFK 4,5:3,5

Als ich mich vor einigen Wochen am Schlusstag der "Offenen Bayerischen Meisterschaft 2003" in Bad Wiessee von Horst Leckner, dem "Kapitän" des TV Tegernsee verabschiedete, wussten wir natürlich um das Wiedersehen beim Bundesliga-Punktspiel in Plauen. Die gegenseitige Versicherung "Sie werden sicher ein guter Verlierer sein!" dürfte auf Leckners Seite vom Vertrauen in die Kraft des eigenen Teams getragen gewesen sein; bei mir klang gewiss auch ein wenig "Pfeifen im Walde" durch.

Bei unserer Ankunft in Plauen (20 Katernberger waren im Bus angereist) laufen uns gleich Tegernseer Großmeister in Scharen über den Weg. Diskrete Nachfragen an der Hotel-Rezeption bestätigten unsere Befürchtungen: Die Bayern bestreiten das Wochenende (das ihnen ja auch noch die SG Porz als Gegner beschert) mit "vollem Rohr". Horst Leckner erklärte zwar auf Nachfrage, der TV Tegernsee habe bisher noch nie ein Spiel mit den Rangnummern 1 bis 8 bestritten, aber die einschränkende Benutzung des Perfekts ließ Schlimmes ahnen.

GM Igor Glek Und so kommt es denn auch: Tegernsee mit Rangnummer 1 bis 8 an den Brettern; ein so erfahrener Kämpe wie Markus Stangl bleibt ebenso im Stall wie Jungstar Stefan Bromberger, der in Bad Wiessee gerade erst seine erste GM-Norm erzielt hat.

Wenn die noch junge Saison uns Aufsteiger etwas gelehrt hat, dann dies: Es wird mit erstaunlich viel Wasser gekocht, und bange sein ist nicht notwendig. Entsprechend gehen wir's an. Gut - Igor Glek (Foto links) zeigt großen Respekt vor Zoltan Riblis theoretischen Kenntnissen und remisiert frühzeitig, als der fachkundige Katernberger Tross gerade mit schwungvollen Attacken rechnet. Eine nachträgliche Überprüfung durch den mitgereisten Herrn Fritz Acht ergibt jedoch, dass Glek klug gehandelt hat.

GM Andrei Volokitin Hast Du gesehen, wie Andrei Volokitin (Foto rechts) noch in der Eröffnung einen Springer in die Caro-Kann-Stellung von Igor Khenkin geknallt hat?" FIDE-Meister Werner Nautsch, wort- und spielgewaltigster Katernberger Kiebitz, ist schier aus dem Häuschen. Das Publikum, das von nun an eine Traube um das Spitzenbrett bildet, ebenfalls. Und selbst Horst Leckner entschlüpft ein "Donnerwetter!" Khenkin verbaucht viel Zeit, gibt notgedrungen die Qualität. Volokitins Dame gerät ins Abseits, doch "der Kleine" spaziert ungewohnt oft umher und sieht sich die übrigen Partien an. Nach der Rückkehr der Dame ins Spielgeschehen - sie frisst sich durch Khenkins Bauern hindurch ins Freie - beendet ein vernichtendes Schach die Partie zugunsten des Ukrainers. Die zweitjüngste Nr. 1 eines Clubs in der Geschichte der Bundesliga - nur Luke McShane war am Spitzenbrett des Erfurter SK vor einigen Jahren noch jünger - hat nach sechs Spielen vier Punkte und eine Performance von knapp 2770. "Respekt!", sagt auch Horst Leckner anerkennend.

IM Matthias ThesimgSFK führt! Und plötzlich ist noch mehr drin. Eine Redensart besagt, dass es beim Schach keinen Elfmeter gibt. Irrtum! Matthias Thesing (Foto rechts) bekommt - gegen Gerald Hertneck - einen solchen zugesprochen, ohne dass der Schiri vorher pfeift. Mit einem Damenopfer nebst anschießendem Matt in zwei Zügen kann der Katernberger den Sack zumachen. Doch - obwohl der Zug von allen Kiebitzen gesehen und fast per Sprechchor gefordert wird - Thesing geht an seinem Glück vorbei, gerät später in Zeitnot und muss sich ins Dauerschach retten.

Kein Dauerschach rettet Georgios Souleidis, der seine haltbare Partie gegen Henryk Teske in Zeitnot verschustert. A propos Zeitnot: Es fällt auf, dass sich die Katernberger Spieler an fast allen Brettern viel Zeit nehmen und dafür später büßen müssen.

Tegernsee geht erstmals in Führung, als Klaus Bischoff den offensichtlich unter Normalform spielenden Alfonso Romero Holmes auseinander nimmt. Martin Senff liefert Valery Beim eine gute Partie und unternimmt am Ende in einem Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern sogar noch Gewinnversuche - vergeblich!

GM Vladimir ChuchelovIn der Zwischenzeit haben sich Bundestrainer Uwe Bönsch und Javier Moreno Carnero ineinander verbissen. Keiner von beiden kommt so recht weiter, aber man spielt. Dann bricht Andrei Sokolov an Brett 2 unter dem Druck von Zeit und Vladimir Chuchelov (Foto links) zusammen, und es steht 3,5:3,5. Horst Leckner lehnt ein 4:4 ab: "Das wird zwar wohl remis werden, doch die beiden sollen zur Strafe noch schwitzen!". Die Stellung des Spaniers scheint belastbar, doch nach einer ebenso überflüssigen wie verfehlten Öffnung der a-Linie zieht Moreno einen dringend benötigten Turm aus der Verteidigung ab und wird am Königsflügel ausgespielt. 4,5:3,5 für Tegernsee! Leckner und Knebel reichen sich die zitternden Hände. Beiden sollte ein Anpruch auf Schmerzensgeld durch die Spieler zuerkannt werden.

Willi Knebel

GM Igor Khenking
Das Foto des Tages:
GM Igor Khenking beäugt mißtrauisch
den Springer auf e6

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