Lernen durch Scheitern
Geschrieben am 29.12.2023 von Bernd Rosen
In der allabendlichen Diskussion über den Titel des Tagesberichts war "Lernen durch Scheitern" bereits seit zwei Tagen ein aussichtsreicher Kandidat. Ohne den Hinweis von Bernd, dass bisher nur das Scheitern als gesichert betrachtet werden kann, wäre es wohl schon früher zu dieser Titulierung gekommen. Nach dem heutigen Tag erscheint es uns angesichts der zunehmenden Menge an Missgeschicken allerdings schier unvorstellbar, dass daraus keinerlei Erkenntnis erwachsen würde. Mittlerweile sind wir so weit, jeden Unglücksgriff in den doch zahlreichen Gewinnstellungen mit dem mantraähnlichen Kommentar "Lernen durch Scheitern" abzumildern. Wir sind uns jedoch noch unsicher, ob beides proportional zusammenhängt. (Soweit Lukas zur Situation der U20 und seiner Trainer)
Um im Bild des Sisyphos zu bleiben: Während Lukas und Timo gerade daran verzweifeln, dass ihr Stein schon nach wenigen Metern wieder an den Ausgangspunkt zurückrollt, habe ich mit meinem Stein heute doch etliche Meter gut gemacht (die U16 hat immerhin zwei Siege eingefahren!). Und bei einem Stadtbummel einen weiteren tröstenden Hinweis entdeckt, den die Stadt Magdeburg sogar auf einem Verkehrsschild abgedruckt hat: "Das Leben an sich ist gefährlich!"
Zunächst übergebe ich das Wort an Lukas:
Beginnen wir mit dem Schicksal unserer U20-Mannschaft. Gegen die USG Chemnitz lief es erneut wie schon zuletzt. Wir erreichen in den frühen Phasen der Partien viele vorteilhafte Stellungen und verspielen diese im Laufe des Kampfes wieder. Zwischendurch hatten Timo und ich erneut einen möglichen Mannschaftssieg errechnet, doch in diesen Zeiten kann man sich wohl einfach nicht mehr auf die Mathematik verlassen, denn unsere Milchmädchenrechnung ging abermals nicht auf. Lasse verdarb ein hoch aussichtsreiches Endspiel gegen den Isolanibauern zum Remis, Noel verbrauchte wie schon zuvor viel zu viel Zeit und verfolgte krude strategische Pläne in einer lange anhaltenden Gewinnstellung und Jonas ließ sich nach scharfer Eröffnung in der Brettmitte mattsetzen. Lukas setzte hingegen alle von Timo in der Vorbereitung angepriesenen Pläne um, war aber nicht entschlossen genug und vermischte später verschiedene Fortsetzungen miteinander, bis dadurch völlig glückliches Gegenspiel ermöglicht wurde, das Lukas wenig später den ganzen Punkt kostete. Sam kämpfte sich unterdessen aus einer aussichtslosen Stellung nach der Eröffnung Stück um Stück zurück in die Partie, bis er in einem deutlich besseren Damenendspiel landete, dessen Verwertung er sich allerdings nicht zutraute und das Dauerschach verfolgend Remis anbot. Maksim hatte von uns die 3-Minuten-Regel auferlegt bekommen, die besagt, dass er für jeden Zug (bis Zug 20) mindestens drei Minuten verbrauchen muss. Er hielt sich minutiös an diese Auflage, bis Zug 20 erreicht war und spielte dann erneut viel zu schnell weiter. Er lief im Endspiel mit dem König in einen entscheidenden Abzug, der die Partie kostete, Endstand 1:5.
Mit einem mickrigen Mannschaftspunkt auf dem Konto hatte sich das Team schon an die letzte der acht Tischreihen gewöhnt, umso größer fiel nach Bekanntgabe der Auslosung der Jubelsturm von Lukas Rasch aus "Leute wir habens geschafft! Wir spielen an Tisch 7!". Leider ist dieser Umstand weniger auf unsere schachliche Leistungssteigerung zurückzuführen, als vielmehr auf die Sonderheiten des Auslosungssystems, das uns mangels Alternativen hochgelost hatte. In Runde 6 trafen wir auf die Schachfreunde aus Biberach, die uns schon vor zwei Jahren völlig überraschend geschlagen hatten. Bereits bekannte Muster setzen sich scheinbar fort: Biberach schaffte es irgendwie, uns auch dieses Mal zu bezwingen, weil unsere Jungs ihre Chancen erneut großflächig nicht nutzten. Noel konnte in der Französischen Vorstoßvariante eine Qualität auf a1 gewinnen, weil Weiß blindlinks auf h6 mit dem Läufer geschlagen hatte. Noel traute sich nicht, mit der Dame auf b2 zu nehmen und kam nachfolgend unter die Räder, obwohl er mit allen Mitteln versuchte, Gegenspiel zu organisieren. Nach präzisem gegnerischen Spiel war die Niederlage nicht zu vermeiden. Sam spielte in einem Botwinnik-System wieder mal eine solide Partie und startete ein stellungsgerechtes Springermanöver, versäumte jedoch zuvor einen wichtigen Bauernhebel, sodass sich die Stellung ernorm verschlechterte. Dann das Unglaubliche: gerade als der Gegner sich einen Patzer leistete hatte Sam (O-Ton) einen Blackout und gab auf, weil er sich bereits in den Fängen eines Mattangriffs wähnte. Er hätte in der Endstellung einen Damentausch forcieren können, womit der gegnerische Ansturm ad acta gelegt worden wäre. Bitter! Erwin vernachlässigte schon früh in der Partie seine Entwicklung und verlor unmittelbar gewichtiges Material, sodass diese Partie ebenfalls nicht zu halten war. Da halfen auch die Teilerfolge an den anderen Brettern nichts mehr: Jonas hatte seinen Gegner taktisch ausgetrickst, Lukas eroberte zwei Bauern und stürmte nach vorne und Lasse begnügte sich einmal mehr mit einem Remis, sodass wir diesen Mannschaftskampf schmerzhaft knapp mit 2,5:3,5 verlieren.
Soweit Lukas zum Schicksal unserer U20. Zurück zu meinem oben bereits erwähnten Stadtbummel: Am Weg habe ich eine weitere tolle Skulptur entdeckt, die ich Euch nicht vorenthalten will:
Der Untertitel dazu lautet: "Daniel auf der Suche nach der verlorenen Zeit!"
Mein Hauptziel war allerdings der Magdeburger Dom, und was soll ich sagen: Nachdem wir zwei Tage lang von Höllenmächten geplagt waren, hat die U16 sofort zwei Siege eingefahren, kaum dass ich aus der Kirche raus war. Da muss ich hier natürlich auch zwei Bilder vom Dom zeigen:
In der Vormittagsrunde gegen Ingelheim gab es den ersten richtig überzeugenden Kampf. Dabei setzten unsere Gegner auf die Waffe der Überraschung: Nils und Lukas mussten sich mit dem Sizilianer nach 2.c4 beschäftigen, Collins Gegner spielte 1...e5 statt des erwarteten ...d5, und Mykola am Spitzenbrett wurde mit dem Budapester Gambit herausgefordert. Nils - mit dem Ballast von drei Niederlagen in Serie im Gepäck -tauschte alles Material zu einem sicheren Remis herunter. Collin spielte eine positionell überlegene Partie, die er taktisch überzeugend zu Ende brachte. Lukas tripelierte seine Schwerfiguren in der offenen c-Linie, und als sein Läufer auch noch am Kampf teilnahm, war die weiße Stellung nicht mehr zu halten. In der Nachbesprechung hat Lukas dann gesehen, dass er die "Peitsche" auf g7 schon viel früher mit den Räumungszügen e5-e4 und d4-d3 ins Spiel hätte bringen können. Mykola hatte in der Eröffnung den Bauern gegen das Läuferpaar eingetauscht, dass sich nach zähem Kampf schließlich durchsetzte.
Der Nachmittagskampf gegen Porz verlief dagegen wesentlich dramatischer: Daniel widerlegte das ungenaue schwarze Eröffnungsspiel mit energischem Spiel und eroberte schnell eine ganze Figur. Collin lud den Gegner zu einem Springeropfer auf h7 ein, dass den Kampf sofort entschied. Collin zog den Kampf mit Minusqualität und -bauer zwar noch etwas hin, aber echten Widerstand vermochte er nicht mehr zu organisieren. Mykola hatte zunächst nur leichte Vorteile, und die Partie von Nils hatte es in sich: Er hatte nämlich eine Qualität geopfert, dafür die gegnerische Rochade vereitelt und einen Bauern kassiert. Allerdings hatte ihn diese schwierige Entscheidung viel Bedenkzeit gekostet, und einen klaren Weg den Vorteil auszubauen gab es auch nicht. Doch seinen Gegner kostete die schwierige Verteidigung anschließend ebenfalls viel Zeit, und am Ende behielt Nils die Nervern und siegte klar. Diese spannende Partie gibt es weiter unten zum Nachspielen. Den Schlusspunkt setzte Mykola in einem studienartigen Endspielschluss: Mit Turm und Springer konstruierte er ein Mattnetz, das den weißen Turm an die Verteidigung des Feldes f4 band. Anschließend ließ er seinen a-Bauern lauf, der nicht mehr zu stoppen war - der weiße Turm durfte ja nicht auf a1 schlagen!
Nun kann dich die U16 doch noch mit einem einigermaßen achtbaren Ergebnis vom Turnier verabschieden. Mit Brackel wartet allerdings ein ganz dicker Brocken in der Schlussrunde.
Nils Partie
Die Riege unserer Fotografen hat sich übrigens noch erweitert: Jan Lüersen ist seit gestern zu uns gestoßen, nach seinen gestrigen Nachtaufnahmen aus dem geschmückten Magdeburg steuert er heute ein Teamfoto der beseonderen Art bei: