Mehr als nur Marmelade

Geschrieben am 02.01.2017 von Bernd Rosen

Ein Ausflug nach Bad Schwartau

Warum ausgerechnet nach Bad Schwartau? In der Zeit nach Weihnachten gibt es doch auch in der Nähe viele interessante Openturniere! Zugegeben: Noch vor einem Jahr fiel mir zu Bad Schwartau auch nicht mehr ein als Marmelade. Dass Anna und ich ausgerechnet dort ein Turnier spielten, das hat viel zu tun mit einem von mir geleiteten B-Trainer-Lehrgang in der Saison 2001/2002, an dem mit Olaf Nevermann auch ein Schachfreund aus Schleswig-Holstein teilnahm. Der verpflichtete mich im Herbst für ein Training bei seinem Verein Bad Schwartau, aus dem die Einladung resultierte, auch an dem dortigen Open teilzunehmen. Nimmt man dann noch den Einfluss meiner beiden Damen hinzu ("Von Lübeck würde ich mir gern noch mehr ansehen!" - Beate und "In Bad Schwartau würde ich viel lieber spielen als in Gelsenkirchen!" - Anna), versteht man schon eher, dass ich mich unversehens auf der Teilnehmerliste fand. Wie so oft im Leben gilt auch hier: Cherchez la femme! Und um es vorzuwegzunehmen: Wir haben den Ausflug nach Bad Schwartau nicht bereut!

1. Tag: Ein glücklicher Sieg

Die sportlichen Ziele waren dabei klar abgesteckt: Während Anna zumindest einen Teil der im letzten Jahr verlorenen DWZ-Punkte zurückholen wollte, ging es mir darum, den fast sicheren DWZ-Verlust in Grenzen zu halten und dafür die dringend benötigte Spielpraxis zu sammeln, um anschließend bei den Mannschaftskämpfen wieder eine zuverlässigere Stütze sein zu können als zuletzt. Dieses Konzept ging aber nur zum Teil auf...

Der erste Tag begann mit einer angenehmen Überraschung: Als Schiedrichter fungierte mit Dr. Johannes Baier nämlich ein weiterer guter Schachfreund aus NRW, der ebenfalls an besagtem B-Trainer-Lehrgang teilgenommen hatte, den Rekrutierungskünsten von Olaf Nevermann ebenso wenig gewachsen war wie ich und das Turnier bereits zum dritten Mal leitete. Wenig Aufregendes dann in der 1. Runde: Anna siegte schnell gegen die Nr. 94 der Setzliste ("die letzte Teilnehmerin mit Wertungszahl!"), ich konnte mich gegen einen anderen Jugendspieler ebenfalls leicht durchsetzen. Schon am Nachmittag ging es weiter, denn das stramme Turnierprogramm sah insgesamt drei Doppelrunden vor. Ich musste gegen den Jugendmeister des ausrichtenden Vereins antreten und wurde noch gewarnt: "Patrick hat sich echt was vorgenommen - der ist vor allem im Endspiel stark!" Nachdem ich es versäumt hatte, schon in der Eröffnung den Sack zuzumachen und im Endspiel leichtfertig einen Bauern geopfert hatte entstand tatsächlich eine sehr spannende Partie, die ich nur mit purem Glück gewinnen konnte. Hier möchte ich nur zwei Momentaufnahmen zeigen:


Stellung nach 26.Sb4!?
 
Schlussstellung nach 36...d2

Anna hielt währenddessen eine leicht schlechtere Stellung gegen einen besseren Gegner relativ locker Remis - genau so hatte sie sich das Turnier vorgestellt!

2. Tag: Wer ist Großmeister Volksmund?

Bekanntlich gibt es kaum einen besseren Start in ein Turnier als einen glücklichen Sieg - so war es auch diesmal. Runde 3 bescherte mir mit der Leipziger Bundesligaspielerin Dr. Anita Just eine sehr erfahrene, dennoch aber schlagbare Gegnerin. In der Vorbereitung hatte ich mich entschieden, auf meinen üblichen Aufbau mit d3 zu verzichten und stattdessen mit frühem d4 in die von ihr ausschließlich gespielte Iljin-Genewski-Variante der holländischen Verteidigung einzulenken, die ich aus schwarzer Sicht für nicht ganz befriedigend halte. Ob diese Einschätzung wirklich stimmt, weiß ich natürlich auch nicht, aber zumindest gibt die Partie keinen Anlass, an dieser Einschätzung zu zweifeln. Auch hier zwei Momentaufnahmen, die zeigen, dass wir eine taktisch sehr interessante Partie auf dem Brett hatten:


Stellung nach 15...Sc2

Eventualwendung

Anna musste erneut gegen einen deutlich stärkeren Spieler ran, verschaffte sich in einem Franzosen auch ausgezeichnete Chancen, wurde dann aber doch durch ein Springeropfer auf d5 aus dem Ring genommen, nachdem sie einen starken prophylaktischen Zug ausgelassen hatte.

Mit 3 aus 3 saß ich dann am Nachmittag dem für Tschechien spielenden Großmeister Leonid Voloshin gegenüber, den ich mit einem verzögerten toten Benoni auf dem falschen Fuß erwischte. In der unten abgebildeten Schlussstellung hätte ich sicher auch noch weiterspielen können - wenn noch alle 16 Bauern auf dem Brett stehen, kann man kaum von einer ausgekämpften Partie sprechen:

Trotzdem twitterte ich noch aus dem Turniersaal per Handy stolz mein "Remis gegen Großmeister Volksmund" in die Welt. Eine Nachricht von Bruno Müller-Clostermann machte mich auf das eigenmächtige Eingreifen der Rechtschreibprüfung aufmerksam.

Anna bekam diesmal wieder einen Jugendspielr "von unten", den sie letztlich sicher bezwang.

3. Tag: Das Rätsel des verschwundenen schwarzen Bauern

Überraschend schnell gelang mir in Runde 5 ein Sieg gegen den Holländer Jan Balje, der mit ELO 2244 in der Setzliste direkt hinter mir auf Platz 6 rangierte. Nach 1.c4 überraschte er mich mit dem von ihm laut Datenbank noch nicht gespielten 1...e5. Aus Furcht vor der gegnerischen Vorbereitung konterte ich mit 2.a3!? - gleichzeitig natürlich ein Tribut an Anna, die immer wieder schon im 1. Zug zu diesem bescheidenen Randbauernzug greift. Im weiteren Verlauf erreichte ich zunächst eine Stellung, in der mir der zusätzliche Zug a3 das aktive b2-b4 mit Angriff auf den Lc5 ermöglichte, und nach einer ungewöhnlichen Springerwanderung über das Feld a6 krachte die schwarze Stellung plötzlich zusammen:

 
Stellung nach 16.Sa6!

Stellung vor dem Schlusszug 21.Dxc4!

Anna spielte derweil ihre wohl schlechteste Partie des Turniers - nach eigenem Bekunden war sie einfach zu müde, um konkret zu rechnen, und spielte dann die ursprünglich geplanten Züge noch nicht einmal. Schnell abhaken und auf zur Nachmittagsrunde:

Hier traf ich auf den ukrainischen FM Nazar Ustianovich, der die Eröffnung im Blitztempo herunterspielte und dann in ein fast einstündiges Nachdenken versank, als er realisierte, dass die Stellung keine praktischen Aussichten auf Vorteil bot. Er brachte sich auf der Suche nach möglichen Gewinnvarianten später selbst in Zeitnot, was sich aber leider nicht ausnutzen ließ, so dass ein völlig ereignisarmes Remis am Ende stand, aus dem sich noch nicht einmal ein Diagramm generieren lässt, das von schachlichem Reiz wäre. Nach der Partie baute er seine Figuren auf und verschwand blitzschnell. Als auch ich meine schwarzen Steine wieder in die Grundstellung befördern wollte, stellte ich fest, dass ein schwarzer Bauer fehlte, der sich auch trotz hartnäckiger Suche nicht finden ließ. Die Turnierleitung besorgte schließlich einen Ersatzbauern von einem der Analysebretter.

Anna gewann ihre Partie nach langem Kampf - Mehrqualität plus Mehrbauer waren erstaunlich schwer zu verwerten, aber am Ende konnte sie den Widerstand ihrer Gegnerin doch brechen.

4. Tag: Das Schlussrundendrama

Somit war schon die letzte Runde angebrochen, in der ich mich an Tisch 1 im Kampf um den Turniersieg dem Favoriten Großmeister Epischin gegenübersah. Zunächst aber wurde ich Zeuge, wie mein Gegner vom Vorabend reumütig zum Schiedsrichter marschierte und - ihm einen schwarzen Bauern in die Hand drückte, den er im Eifer des Gefechts wohl in die Hosentasche gesteckt hatte.

Die Partie gegen Epischin nahm einen recht dramatischen Verlauf. Nach stark geführter Partie wähnte ich mich schon auf der Siegesstraße, sah am Ende aber überhaupt nichts mehr und verpasste sogar noch das lange noch mögliche Remis. Der Computer hat mir hinterher immerhin gezeigt, dass mein Vorteil doch nicht so groß war, wie ich angenommen hatte...

Anna bot ihrem nominell stärkeren Gegner in klar besserer Stellung Remis an - die nachträgliche Analyse zeigte, dass sie im Gegensatz zu mir tatsächlich völlig auf Gewinn stand.

Immerhin fiel ich durch die Niederlage nur auf den 4. Platz zurück und konnte somit noch einen Geldpreis mit nach hause nehmen. Ein kleiner DWZ- und ELO-Zugewinn ist ebenfalls mehr, als ich vorher erwartet hatte. Anna und ich gewannen auch noch einen kleinen Preis für das beste Ergebnis als Familie - also Ende gut, alles gut.

Das Turnier kann ich nur wärmstens empfehlen: Der Turniersaal selbst ist sehr geräumig, es gibt eine große Mensa mit einem ausgezeichneten Angebot an Speis und Trank, und zusätzlich steht noch die Sporthalle zur Verfügung, um sich bei Bedarf auch körperlich auszutoben. Ein perfekt eingespieltes Organisationsteam sorgt für einen reibungslosen Ablauf - Herz, was willst Du mehr? Angetan vom Ambiente zeigte sich auch Friedhelm Dahlhaus von Wacker Bergeborbeck, der den Seniorenpreis gewann. Weitere Informationen zum Turnier bietet die Turnierseite.

Unvermeidlicher Nachteil bei jedem Schachturnier: Von der Umgebung kriegt man praktisch nichts mit. Immerhin reichte die Zeit noch für einen Rundgang durch die Lübecker Altstadt, vom Turm der St. Petri - Kirche veraschafften wir uns dann zumindest noch einen Überblick. Für einen weiteren Turnieraufenthalt bleibt jedenfalls noch einiges zu entdecken!

Partien zum Nachspielen

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