One Night in Mülheim

Geschrieben am 30.03.2009 von Ulrich Geilmann

Ulrich Geilmann

Wieso geht mit eigentlich dieses verdammte Lied nicht aus dem Hirn? One Night in Bangkok aus dem Musical Chess! Kennen Sie doch!

http://www.youtube.com/watch?v=mnqj31VPNoE

Vielleicht weil ich mich mittlerweile wie einer der Protagonisten fühle?!

Nachdem sich der TV Tegernsee nun doch noch offiziell aus der Bundesliga verabschiedet hat, was ich übrigens sehr bedauere, war die Abstiegsfrage für uns nur noch ein sehr theoretisches Rechenspiel geworden. Insofern wurde der Druck, dem wir in den letzten beiden Mannschaftskämpfen in dieser Saison ausgesetzt waren, etwas geringer. Gleichwohl wollten wir uns mit einem möglichst positiven Ergebnis aus diesem Jahr verabschieden.

Stelios HalkiasDass es vor dem Wochenende wieder einmal zu dem üblichen Aufstellungsstress kam, ist fast natürlich und eines der Dinge, an die ich mich nunmehr beinahe gewöhnt habe. Diesmal war’s unser Christian Scholz, der aus familiären Gründen zurückziehen musste. Leider war aber auch Sarah anderweitig verpflichtet. Ich hätte sie wirklich gerne am Brett gesehen. Doch es hat mich andererseits gefreut, dass wir nach einigem Gezerre wieder einmal eine nominell starke Mannschaft ins Rennen schicken konnten (oder - wie es Sebastian Siedrecht ausdrückte, der zurzeit bei einem Turnier in Reykjavik weilt - ein Bullenteam):

Gegen den USV TU Dresden, der bislang sicher eine sehr frustrierende Saison hinter sich gebracht hatte, waren wir damit klarer Favorit. Unser Bundesliga-Impresario Werner Nautsch meinte dazu lakonisch: Wir schließen ja heute mit Kanonen auf Spatzen – hoffentlich treffen die auch!

Nun, ich hoffte jedenfalls darauf, dass unsere Spieler genug Zielwasser dabei hatten.

Igor GlekDie Eröffnungsphase verlief jedenfalls relativ unspektakulär, was aber völlig normal ist. Elounterschiede manifestieren sich nicht zu einem so frühen Zeitpunkt, manchmal auch gar nicht; schlimmstenfalls verkehren sie sich ins Gegenteil, was ich mir selbstverständlich nicht wünschte.

Stelios, der offenbar bald im griechischen Staatsdienst sein wird, steckte zu diesem Zeitpunkt ein Bäuerchen ins Geschäft und hoffte, den resultierenden Entwicklungsvorsprung und eine etwas abseitige Damenstellung seines Gegners in einen Gewinnpunkt ummünzen zu können. Hatte er eigentlich was an seinen Haaren gemacht?? Egal - jedenfalls sah unser Vorzeigegrieche trotz einer leichten Erkältung ziemlich frisch aus!

Gleiches galt im Übrigen auch für Igor. Der hatte allerdings ein fleckiges T-Shirt an. Böse Zungen behaupteten, das sei das Blut eines seiner letzten Opfer; spielt er doch auch für einen Club aus Palermo!

Don Vicente… pardon… Igor war aber offenbar in bester Spiellaune und opferte mal eben nonchalant ein Türmchen. Die Annahme hätte jedoch einem rituellen Selbstmord geglichen, den ein Samurai vollzieht, der sich die Klinge seines Schwertes quer durch den Bauch rammt! So steckte sich Igor in vorteilhafter Stellung erstmal einen Holzagronomen ein.

Bundesliga in Mplheim 2009Nach gut zwei Stunden kam dann das erste Remisangebot von Dresden, das Christian allerdings postwendend ablehnte; angesichts einer etwas gedrückten Position eine durchaus mutige Entscheidung unseres Schnitzelspezialisten.

Georgios hatte allerdings erhebliche Probleme. Er wirkte irgendwie müde und sein Gegner inszenierte einen insgesamt doch sehr gefährlich aussehenden Königsangriff. Das kostete Georgios zunächst eine Qualle.

Ansonsten gab’s im Westen aber nichts Neues. Die Sparkasse war diesmal allerdings irgendwie hellhöriger als ich es in Erinnerung hatte, was Matthias einige Male dazu bewog, genervt um Ruhe zu bitten.

Georgios SouleidisNichtsdestotrotz hatte sich unser geschätzter Reisepartner wieder sehr angestrengt, ein tolles Ambiente zu schaffen und eine vorbildliche Verpflegung bereit zu stellen. Diesmal wurde die obligatorische Eröffnungsrede sogar von der amtierenden Bürgermeisterin der Stadt Mülheim gehalten. Außerdem gab es eine qualifizierte Livekommentierung - allerdings vor einer etwas durchwachsenen Zuschauerkulisse. Dass überdies auch die Internet-Liveübertragung wie immer tadellos funktionierte, versteht sich fast von selbst. Die Mülheimer Heimkämpfe sind damit stets ein Qualitätsmaßstab für die Bundesliga; muss man neidlos anerkennen.

Die 3. Spielstunde endete mit einer optimistischen Ansage von Matthias. Er konnte sich zu diesem Zeitpunkt einen klaren Vorteil erspielen, der verheißungsvoll nach Punktgewinn aussah. Wenig später setzte er es dann folgerichtig in die Tat um. Nun, ich hatte jedenfalls keine Probleme damit. (1:0). Bravo, Matthes!!

Außerdem stand zu diesem Zeitpunkt Evgeny schon recht nett. Er führte dann nach 3½-Stunden fast zeitgleich mit Igor seine gute Stellung zum souveränen Gewinn. (3:0).

Matthias Thesing

Alle anderen Katernberger mussten allerdings noch kräftig arbeiten. Die besten praktischen Chancen besaß dabei Stelios, der inzwischen einen weit vorgerückten Freibauern hatte; auch Vladimir’s Postion war inzwischen klar vorteilhaft. Martin hatte indes eine doch eher remisliche Stellung. Hingegen musste Christian zu diesem Zeitpunkt einen Bauern abgeben; der wurde jedoch durch seine leicht aktivere Stellung kompensiert.

Eine Viertelstunde danach erspielte sich dann Vladimir tatsächlich den nächsten Gewinnpunkt. (4:0).

Damit war der Klassenerhalt nun auch theoretisch sichergestellt.

Kurz danach übersah FM Dirk Wegner im Eifer des Gefechts eine Abwicklung. Georgios nutzte diesen Fehler gnadenlos aus und konnte tatsächlich die Partie noch einmal zu seinen Gunsten umdrehen. Einfach unglaublich! Er gewann damit das Match für Katernberg (5:0).

Bundesliga in Mülheim 2009Wenn’s dann einmal läuft, dann läuft’s. Den nächsten vollen Punkt steuerte dann Stelios bei. (6:0).

Nach gut 5 Stunden konnte man bei den verbleibenden Partien von Martin und Christian aber keinen klaren Sieger mehr ausmachen. Martin sah sich das noch 20 Minuten an und willigte schließlich ins Remis ein. (6½: ½).

Den Abschluss machte dann Christian. Der trickste sich allerdings in ein vorteilhaftes Turmendspiel und gewann doch tatsächlich auch noch! (7½:½).

Die sympathischen Dresdner Schachfreunde hatten diese Klatsche eigentlich nicht verdient. Aber ich will mich natürlich auch nicht beschweren; schließlich habe ich in diesem Jahr auch manche schwere Stunde überstehen müssen und mein Frustverarbeitungspotenzial war insofern aufgebraucht. Insoweit tat es wirklich gut, mal wieder etwas entspannter in die Runde blicken zu dürfen.

Die Stimmung in unserem Mülheimer Stammitaliener Don Peppino war dem entsprechend gelöst. Die Gespräche kreisten wie immer um die Lieblingsthemen der Katernberger und endeten schließlich in einer wenig ernstgemeinten Diskussion über den psychisch befreienden Austausch von körpereigenen Proteinen. In dem Lokal werden wir mittlerweile mit Handschlag begrüßt und verabschiedet; außerdem sind wir wegen der guten Küche zumeist die letzten Gäste.

Diesmal waren die Jungs allerdings ungewöhnlich früh im Hotel. Und dass lag nicht nur an der Sommerzeitumstellung, die uns eine Stunde Schlaf kostete. Berlin Kreuzberg ist ein ernstzunehmender Gegner und wir wollten versuchen, auch diese Begegnung möglichst auch zu unseren Gunsten zu gestalten.

Bundesliga in Mülheim 2009Ich hatte mich übrigens wieder privat im Hotel Handelshof eingemietet, um mir die Fahrerei zu sparen. Heuer war ich jedoch im urigen Gästehaus des Hotels Alt-Mülheim einquartiert. Um in den eigentlichen Hoteltrakt zu gelangen, musste ich dabei jeweils ein metallenes Rolltor passieren, das von der Rezeption angesteuert wurde. Diese Prozedur war nicht nur äußerst zeitraubend, sondern verlieh meiner Unterkunft auch den nachhaltigen Charme einer Justizvollzugsanstalt! Ich fühlte mich also auf Anhieb wie zuhause! Leider konnte ich kaum Schlaf finden; da halfen auch keine Pillen! Ich weiß gar nicht, wieso ich in der ersten Hotelnacht immer so empfindlich bin? Muss das Alter sein!

Doch zurück zum Spielsaal.{mospagebreak}

Der SC Kreuzberg, der sich am Vortage gegen Mülheim mit 3,5:4,5 achtbar schlug, kam wieder einmal mit einem guten Team ins Ruhrgebiet. An den Elozahlen gemessen, war Katernberg aber wieder in der Favoritenrolle.

Christan war übrigens heilfroh, diesmal nicht gegen seine Angstgegnerin Elisabeth Paethz antreten zu müssen, denn das letzte Mal hatte er aus vorteilhafter Stellung heraus nach ungenauem Abspiel eine schmerzhafte Niederlage kassiert.

Der Wettkampf begann mit einer relativ merkwürdigen Zugwiederholungsorgie am 8. Brett, die dann in ein Kurzremis mündete. Matthes hatte allerdings die schwarzen Steine und vergewisserte sich vorher auch bei mir, ob es deswegen wohl Haue geben würde. Doch wie sollte ich ihm nach seinen wichtigen Siegen in dieser Saison böse sein?! (½:½) .

Die erste Spielstunde brachte eine weitgehend ausgeglichene Eröffnungsbehandlung. Georgios hatte dabei wohl die schärfste Stellung auf dem Brett. In dem Sizilianer ging es nach Lehrbuch zur Sache. Weiß schritt mit langer Rochadestellung auf dem Königsflügel voran, während Schwarz bei kurzer Rochade auf der Damenseite agierte. Darüber hinaus schien auch Christian einen stabilen Vorteil zu besitzen.

Nach einer weiteren halben Stunde erspielte sich dann aber zunächst Stelios nach Rücksprache ein Remis mit Schwarz. (1:1).

Ferner bahnte Vladimir um die Mittagszeit die Entladung seiner Kräfte an. Highnoon, im wahrsten Sinne des Wortes. Der Showdown sah ihn dann als klaren Sieger. (2:1). Kurz danach folgte ein Remis von Igor. (2½:1½).

Allerdings hatte Evgeny ziemlich zu kämpfen; sein immer freundlicher Gegner erarbeitete sich mit den schwarzen Steinen eine wirklich imposant aussehende Angriffstellung. Respekt!

Ansonsten gab es aber kein wesentlich verändertes Bild. Insgesamt gesehen glaubte ich zu diesem Zeitpunkt deshalb an einen hauchdünnen Vorteil für Katernberg.

Während in der nächsten Stunde interessante Anekdoten aus der Schachwelt ausgetauscht wurden (mir wurde dabei endlich schlüssig der kleine aber feine Unterschied zwischen einem Kurzremis und Großmeisterremisen erklärt), endete die Partie am 6. Brett zwischen der übrigens fast akzentfrei russisch sprechenden IM Elisabeth Paethz und IM Martin Senff mit einem letztlich verdienten Unentschieden. (3:2).

Parallel dazu konnte Evgeny den Angriff seines Spielpartners durch ein cleveres Turmmanöver abfangen und Georgios seine Angriffsstellung weiter verstärken. Alles lief also irgendwie nach Plan.

Georgios fand schließlich den unmittelbaren Gewinnweg und sorgte für eine weitere Kerbe in seinem extra für Großmeister angeschafften goldenen Colt! Bravo! (4:2). Ich war sehr zufrieden mit meinen Jungs!

Bundesliga in Mülheim 2009Die nun verbliebenen Partien von Christian und Evgeny sahen zunächst im Prinzip recht ausgeglichen aus. Bei genauerer Betrachtung wies dabei allerdings Evgeny’s Stellung durch das Läuferpaar einige deutliche Vorzüge auf, die mich durchaus optimistisch stimmten. Daran änderte sich auch in der folgenden Spielstunde nichts.

Gegen 14.00 Uhr ergab sich bei Evgeny dann ein wohl remisschwangeres Damenendspiel; auch die Partie Michael Richter – Christian Seel stand gleich. Insofern wurde ein 5:3-Sieg immer wahrscheinlicher.

Den tatsächlichen Matchgewinn sicherte dann Evgeny mit dem erwarteten Remis um 14.30 Uhr ab. (4½:2½). Doch den Schlusspunkt setzte schließlich Christan, der ebenfalls ein Unentschieden erzielte. (5:3).

Ende gut – alles gut.

Übrigens verabschiedeten sich unsere Dresdner Freunde mit einer fulminanten kämpferischen Leistung aus der Bundesliga. Jedenfalls musste sich unser Mülheimer Partner bei seinem Sieg ziemlich anstrengen.{mospagebreak}

Tja, wie war also die Saison?

Nun, durchwachsen würde ich sagen: Den einen oder anderen Mannschaftspunkt haben wir tatsächlich wohl selbst versenkt und die Aufstellungsnöte, die wir in der 2. Saisonhälfte hatten, waren auch nicht sonderlich förderlich für die Farbe meiner Haare, die langsam aber ins Graue tendiert; das fällt übrigens nur deshalb nicht auf, weil ich meine Haare im Regelfall vorher verliere.

In Anbetracht der Widrigkeiten können wir aber mit dem erspielten 11. Platz zufrieden sein. Die Mannschaft hat mit großem Einsatz gekämpft und die Stimmung war alles in allem gut. Es hat mir wieder sehr gefallen, mit Sarah und ihren Jungs zusammenzuarbeiten. Vielen Dank an das Team!

Im Namen des Teams möchte ich mich natürlich aber auch sehr bei unserem Sponsoren- und Unterstützerpool bedanken, die uns Dank der exzellenten Vorarbeit von Willi Knebel seit vielen Jahren verlässlich begleitet haben. Unser besonderer Dank gilt in diesem Jahr natürlich ebenfalls den treuen Schlachtenbummlern, die in der Regel selbst bei Auswärtskämpfen mit dabei waren.

Eine Laudatio wäre an dieser Stelle allerdings unvollständig, wenn man nicht auf das große persönliche Engagement unsers Bundesligaobmanns, Werner Nautsch, hinweisen würde. Es ist zu großen Teilen seinem unermüdlichen Einsatz zu verdanken, dass wir uns in den letzten Jahren überhaupt der immer stärker werdenden Konkurrenz stellen konnten. Danke, Werner!

Last but not least möchte ich mich aber auch bei unserem agilen Vorstandsteam um Bernd und Willy Rosen bedanken, die meine Arbeit sehr unterstützt haben! Ich stehe in Eurer Schuld!

Was die Zukunft der Bundesliga insgesamt betrifft, sehe ich im Moment eine deutliche Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit:

Keine Frage, die Bundesliga hat mittlerweile ein beachtliches Spielstärkeniveau erreicht. Wer aber mit den Wölfen heulen will, muss aufrüsten. Das kostet Geld, denn viele Spieler leben von Ihrer Kunst und möchten verständlicher Weise auch adäquat für ihre Einsätze und Leistungen honoriert werden. Aufgrund der verstärkten Vermarktungsbemühungen ziehen gleichzeitig ebenso aber die Standardanforderungen an; auch das ist an sich ein begrüßenswerter Fortschritt, keine Frage!

Beide Effekte haben in den vergangenen Jahren jedoch zu einer erheblichen finanziellen Mehrbelastung für die Vereine geführt. Ob die mittlerweile notwendigen Gelder aber angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage auch in Zukunft von den Bundesliga-Clubs beschafft werden können, ist offen. Dies gilt auch und besonders für die potenziellen Aufsteiger.

Dass mittlerweile aber selbst starke Vereine das Handtuch werfen oder sogar den möglichen Aufstieg dankend ablehnen, ist ein deutliches Warnzeichen. Ohne potente Sponsoren und möglichst professionelle Organisations- und Vermarktungsstrukturen werden wir über kurz oder lang scheitern!

Doch kann man Schach tatsächlich erfolgreich vermarkten?

Sicher! Der Erfolg von einzelnen Spitzenveranstaltungen zeigt, dass es funktionieren kann.

Doch kann es gelingen, dies langfristig und krisensicher zu verstetigen?

Da bin ich mir nun nicht mehr so sicher!

Auch einige Spieler sind mit den aktuellen Strukturen unzufrieden. Dabei geht es eben nicht immer nur um möglichst gute Unterbringung, Verpflegung, Verdienstmöglichkeiten oder Lizenzstatuten. Vielen Ligaspielern fehlt zum Beispiel ein adäquates Mitspracherecht; manche Protagonisten beklagen auch die fehlende Förderung deutscher Spieler. Wir sollten auch hier einmal genau hinhören und unsere Konsequenzen ziehen!

Quo vadis, Katernberg?

Wir werden sehen!

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