Schach und Kunst
Geschrieben am 27.03.2011 von Bernd Rosen
Schachbundesliga im Kunstmuseum Mülheim
Fotos: Kai Hombrecher
Als Schachspieler kommt man rum und hat oft nicht viel davon. Zuletzt konnte ich so interessante Orte und Regionen wie Georgien, die Abruzzen und Vietnam meiner "Hätte ich gern mehr von gesehen" - Liste hinzufügen. Und nun auch noch das: Das Kunstmuseum Mülheim war Gastgeber der 12. und 13. Bundesligarunde, wir spielten mitten in einer dem Thema "Schach und Kunst" gewidmeten Ausstellung, die zudem noch von der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft besucht wurde. Ich aber musste spielen und außerdem für den kurzfristig erkrankten Ulrich Geilmann als Mannschaftsführer einspringen. Da blieb keine Zeit für einen Blick auf "meine" Landeschefin oder eine nähere Inaugenscheinnahme der zahlreichen Exponate.
Die sportliche Geschichte dieses Wochenendes ist allerdings schnell erzählt: Die Gastmannschaften aus Eppingen und Baden Baden reisten wie angekündigt in sehr starker Besetzung an und gewannen klar gegen Gastgeber Mülheim und unsere Auswahl. Wir mussten am Samstag zunächst gegen den Tabellendritten Eppingen antreten, gegen den zumindest auf dem Papier noch am ehesten mit einer Überrascung zu rechnen gewesen wäre. Doch die absolut professionell auftretenden Eppinger hatten den Kampf jederzeit im Griff und gewannen standesgemäß mit 6:2. Geduldig warteten sie auf unsere Fehler, und die stellten sich mehr oder weniger prompt auch ein: Christian Scholz lief in eine Heimanalyse und hatte am Ende der 20zügigen weitgehend forcierten Variante nicht etwa eine Figur mehr, sondern einen Bauern weniger, der ihn nach knapp 7 Stunden Spielzeit trotz äußerst hartnäckiger Gegenwehr den Punkt kostete. Vladimir Chuchelov verpasste ein Dauerschach und landete statt dessen in einer schon grotesk passiven Stellung. Sebastian Siebrecht stellte in Zeitnot und nur leicht schlechterer Stellung einen Bauern ein, und ich unterschätzte erst die Kraft eines gegnerischen Bauernopfers und überschätzte dann die Angriffsaussichten in einer Stellung mit ungleichfarbigen Läufern. Igor Glek schließlich blieb auf einem schrecklich schlechten Läufer sitzen. Erfolge meldeten nur Ilja Zaragtski und Robert Ris, die einen halben Punkt erkämpften, und der in dieser Saison überragend aufspielende Klaus Bischoff: Er brachte den sonst so sicheren Tiviakov in taktischen Verwicklungen zu Fall, die ihren Ausgangspunkt am Damenflügel nahmen, schnell aber das ganze Brett umspannten.
Parallel dazu fertigte Baden Baden die Gastgeber mit 7:1 noch deutlicher ab, was einen nicht wirklich verwundern kann. Die Kräfteverhältnisse zeigen sich allein an dem Umstand, dass Ex- und demnächst vielleicht wieder Nationalspieler Daniel Fridman bei Mülheim das Spitzenbrett verteidigte, während seine Kollegen Arkadij Naiditsch und Jan Gustafsson für Baden Baden an den letzten beiden Brettern antraten. Kleine Randnotiz vom ersten Tag: Der deutsche Spitzenspieler Arkadij Naiditsch lehnte in seiner bekannt charmanten Art ab, für eine Aufnahme mit der Ministerpräsidentin Frau Kaft zu posieren. Der Mann weiß wirklich, wie man Werbung sowohl für den Schachsport als auch in eigener Sache betreibt!
Am Sonntag durften wir dann gegen die Baden-Badener Weltauswahl ran. Gut, dass wir die Punkte für den Klassenerhalt schon vor diesem Wochenende eingefahren hatten, denn natürlich hatten wir auch hier nichts zu bestellen. Vladimir Chuchelov konzentrierte seine Figuren am Damenflügel und ließ den König ohne Figurenschutz, was gegen Alexej Shirov nun wirklich ein Spiel mit dem Feuer darstellt. Der ließ sich auch nicht lange bitten und zerstörte den weißen Königsflügel mit einem Läuferopfer. Die übrigen Partien verliefen zwar weniger spektakulär, aber nicht wesentlich erfolgreicher für unsere Cracks. Immerhin blieben wir auch diesmal nicht ganz ohne Achtungserfolg: Igor Glek holte ein Remis gegen Movsesian heraus, Robert Ris verteidigte gegen Michael Adams das zweite Turmendspiel an diesem Wochenende zum Remis, und ich selbst konnte nach völlig missratener Eröffnung noch einen halben Punkt gegen Jan Gustafsson retten.
Für mich hatte der Kampf noch ein erfreuliches Nachspiel. Schon am Samstag kam ich mit Hans-Peter Porzner ins Gespräch: Der "Macher" der Ausstellung, der dort auch mit einigen eigenen Werken vertreten ist, zählt zu den bedeutendsten deutschen Künstlern der Gegenwart. Als Jugendlicher hat er selbst erfolgreich Schach gespielt, sowohl über die Geschichte wie über aktuelle Tendenzen des Schachspiels zeigte er sich ebenso interessiert wie informiert. Auf seine Einladung hin besichtigte ich die Ausstellung einige Tage später noch einmal, wobei ich in den Genuss einer Privatführung durch Herrn Porzner kam. Deutlich geworden ist mir dabei vor allem eines: Ebenso wie der rein schachliche und zuweilen auch ästhetische Gehalt einer Schachpartie sich erst nach eingehendem Studium unseres Spiels und seiner Geschichte erschließt, erscheinen viele der dort ausgestellten Exponate nach der kundigen Erläuterung ihres kunstgeschichtlichen Hintergundes in ganz neuem Licht! Den in der Ausstellung gezeigten Film kann man übrigens auch im Internet anschauen: Entr'acte von Rene Clair.
Die Ausstellung SCHACH!! ist noch bis zum 01.05.2011 zu besichtigen und sei allen Schachfreunden, deren Horizont nicht am Brettrand endet, wärmstens empfohlen. Auch die Dauerausstellung mit zahlreichen bedeutenden Werken vor allem des Expressionismus ist sehenswert, bis zum 25.04. gibt es zudem noch eine Schau "Picassos Welt der Tiere" mit Zeichnungen des wohl herausragendsten Künstlers des 20. Jahrhunderts. Weitere Informationen gibt es auf der Homepage des Kunstmuseums Mülheim.
Zum schachlichen Geschehen des Wochenendes empfiehlt sich auch ein Besuch von schachbundesliga.de, dort u.a. Interviews mit Alexej Shirov und Jan Gustafsson, auch die Gurkensammlung von Georgios Souleidis ist wieder einen Abstecher wert. Außerdem gibt es weitere Fotos von Kai Hombrecher in der Bildergalerie.