Schlaflos in Essen

Geschrieben am 04.02.2013 von Ulrich Geilmann

Heimwochenende mit dem gewissen Flair

Heimkämpfe haben für mich immer ein gewisses Flair. Zum einen, weil ich mal wieder meiner Geburtsstadt einen Besuch abstatte. Das tue ich aus beruflichen Gründen zwar häufig, aber es ist schon etwas anderes, wenn man dabei ausgelöst durch die Vorfreude auf ein spannendes Bundesligawochenende einen gewissen Adrenalinschub empfindet. Zum anderen ist es der Umstand, dass ich im Vorfeld einfach mehr Pflichten habe als sonst. Schließlich muss ein Spiellokal gefunden, organisiert und schließlich alles vor Ort aufgebaut werden. Dies gestaltete sich diesmal allerdings einfach, da sich der Regionalverband Ruhr auf meine Anfrage frühzeitig bereit erklärt hatte, uns diesmal wieder in seinen mehr als repräsentativen Räumlichkeiten zu beherbergen.

Das Team um den Schachenthusiasten Bernhard van Loon, dem Eventmanager des Regionalverbandes, ist professionell aufgestellt, so dass im Vorfeld und auch während der Wettkämpfe alles wie am Schnürchen lief. Hierfür noch einmal meinen ganz herzlichen Dank!

Außerdem war unser Vorsitzender Bernd Rosen eingeschaltet: Er kümmerte sich um die Gestaltung der Rahmenbedingungen (wie die Abstimmung des Caterings, die Anlieferung von Schachmaterial, die Vorgespräche mit dem Übertragungsteam aus Mülheim und die Ansprache unserer Vereinsmitglieder) und leistete überdies wertvolle Fahrdienste.

Die Mannschaftsaufstellung war schon zu Jahresbeginn klar. In Anbetracht der sportlichen Bedeutung des Wochenendes hatten wir uns entschlossen, eine kampfstarke Truppe an die Bretter zu bringen. Das Team bestand diesmal aus den Großmeistern Yuriy Krivoruchko, Evgeny Romanov, Nazar Firman, Vladimir Chuchelov, Klaus Bischoff und Sebastian Siebrecht sowie den Internationalen Meistern Robert Ris und Dr. Christian Scholz.

Robert hatte diesmal seinen Vater Wilhelm (genannt Wim) im Schlepptau, mit dem ich mich auf Anhieb gut verstand. Wim ist ein wirklich amüsanter Plauderer. Mir war bei unserem Gespräch sofort klar, woher Robby seine liebenswürdige Art hat. Und wie üblich, war auch Ingrid Lauterbach mit von der Partie. Leider schwänzte allerdings unser bayrischer Edelfan Heidi Saller krankheitsbedingt.

Das Team fand sich mehrheitlich bereits am Freitag zusammen. Lediglich Christian und Vladimir fehlten. Christian musste am Samstag erst noch für die Umschulung eines seiner Kinder sorgen; hier stand ein Wechsel zum Gymnasium an. Das unübliche Fehlen von Vladimir bereitete mir allerdings etwas Bauchgrimmen und veranlasste mich zu einem kurzen Telefonat nach Belgien. Dort bekam ich aber nur seine Mutter an die Strippe, die mir jedoch in einem auf Deutsch, Russisch und Englisch geführten Gespräch versicherte, dass ihr Sohn nicht da sei, weil er an diesem Wochenende in der deutschen Bundesliga spielen müsse.

Von daher hatte ich keine Sorgen mehr und konnte mich insoweit auf meinen spindelmannschen Grillteller konzentrieren. Zwischen Evgeny und mir läuft übrigens so etwas wie ein Wettstreit. Wir beide versuchen uns nämlich gegenseitig bei der Menge der Nahrungsmittelaufnahme zu übertrumpfen. Diesmal gewann unser freundlicher Vorzeigerusse mit Nasenlänge, da ich mir die Zwiebelsuppenvorspeise nicht zutraute. Aber das Rückspiel ist schon gebucht!

Überdies tat Wim sein Bestes, um mich schließlich am späten Abend mit der Applizierung einiger Longdrinks an der Hotelbar müde zu schießen, als er hörte, dass ich immer Probleme habe, in der ersten Hotelnacht einzuschlafen. Doch zu meinem größten Bedauern hatte auch das keinen substanziellen Erfolg. Dies mag auch daran gelegen haben, dass bei mir in der Nacht plötzlich die magenreinigende Wirkung eines mittäglichen Sauerkrautgerichtes einsetzte. Nun ja… ich erspare der werten Leserschaft hier alle weiteren Details.

Am nächsten Morgen liefen mir beim Frühstück zunächst Corinne und Alexander Chuchelov in die Arme. Damit konnte Vladimir nicht weit sein. Die Katernberger Familie war wieder vereint!

Ich war diesmal schon relativ früh im Turniersaal, da es noch dies und das vorzubereiten galt. Trotzdem war es ein sehr entspannter Vormittag. Und wie waren die heutigen Aussichten? Durchwachsen würde der Metzger sagen. Wiesbaden hatte bislang eine mustergültige Saison hingelegt und war immer mit einem starken Team angetreten. Der 3. Tabellenplatz kam mithin nicht von ungefähr. Ich ging davon aus, dass das auch diesmal so sein würde.

Um 13.30 Uhr dann die zumindest teilweise Bestätigung dieser Analyse.

SF Katernberg - Wiesbadener SV
Kryvoruchko - Khenkin
Romanov - Kurnosov
Firman - Tazbir
Chuchelov - Bulski
Bischoff - Poetsch
Siebrecht - Carstedt
Ris - Dubkov
Dr. Scholz - Nagel

Nach den üblichen kurzen Einführungsreden (diesmal ging der Kelch leider nicht an mir vorüber) und einem kurzen Lob für die gediegenen Räumlichkeiten durch unseren Schiedsrichter Klaus Löffelbein ging's dann los. Gemäß Papierform trafen in etwa gleich starke Kontrahenten aufeinander.

Diesmal sparte ich mir den Kontrollgang nach der ersten Spielstunde. Die Jungs wissen ja, was sie tun müssen und im Regelfall wird sowieso eine vorbereitete Eröffnungssequenz abgespult. Da bedarf es keines prüfenden Blickes des Teamchefs. Schön war aber die gute Resonanz bei unseren Vereinsmitgliedern. Ich würde mir öfter so eine gute Unterstützung wünschen.

Nach einer weiteren Stunde lohne sich der Blick auf die Bretter aber schon. Doch so recht gefallen wollte mir das nicht, was ich zu sehen bekam. Im Moment liefen wir dem Wettkampf ein bisschen hinterher. Überall hakte es. Daran musste sich unbedingt noch was ändern.

Am ersten Brett hatte sich dabei schon frühzeitig eine deutliche Materialreduzierung abgezeichnet. Die Vereinfachung führte zu einem etwa gleich stehenden Endspiel mit deutlichen Remistendenzen. Insofern war das Unentschieden durch Yuriy nach gut 2¼ Spielstunden nur konsequent. (0,5:0,5). Auch an Robbys Brett folgte ein Remisangebot des Gegners. Doch weil noch keine 20 Züge geschehen waren, war das natürlich nicht möglich. Kurz danach erschreckte Sebastian seinen Gegner mit einer kleinen Kombination, die ihm zunächst ein Bäuerchen einbrachte. Gleichwohl hielt diese Schrecksekunde nicht lange an, denn dem Wiesbadener gelang praktisch in der Riposte der Materialrückgewinn. Doch die Partien dümpelten insgesamt gesehen eher vor sich hin. Vor der nahenden Zeitkontrolle manövrierte sich dann aber Klaus in eine nahezu aussichtslose Lage und musste aufgeben. (0,5:1,5). Nazar stand plötzlich ebenfalls heikel.

Und plötzlich schien es überall kritische Zeitnotduelle zu geben. Jedenfalls überschlugen sich die Ereignisse. Zunächst schoss Robby den Ausgleich. (1,5:1,5). Dann sprengte sich urplötzlich Sebastian selbst in die Luft. (1,5:2,5). Al-Qaida lässt grüßen. Der nächste Dominostein hieß Nazar. (1,5:3,5). Danach ein eher tragisches Remis bei Vladimir durch Dauerschach, der tendenziell eine bessere Position hatte. (2,0:4,0).

Nachdem sich dann der Pulverdampf verzogen hatte, musste ich feststellen, dass mir der Abend noch richtig weh tun würde. Denn obgleich sich Evgeny inzwischen fast aus dem Nichts eine hoffnungsvolle Position erspielt hatte, musste Christian tendenziell eher um sein Remis kämpfen. Das würde insgesamt nicht reichen.

Christian schaffte zwar das Unentschieden, aber damit war der Mannschaftskampf bereits verloren. (2,5:4,5).

Um 19.00 Uhr machte schließlich Evgeny den Sack zu, doch das war leider nur noch etwas Schminke auf dem blauen Auge! (3,5:4,5).

Wir konnten also den Aufsteiger Wiesbaden nicht entzaubern. Sein Wintermärchen geht erstmal weiter! Insoweit noch einmal herzlichen Glückwunsch!

SF Katernberg 3,5 : 4,5 Wiesbadener SV
Kryvoruchko ½ : ½ Khenkin
Romanov 1 : 0 Kurnosov
Firman 0 : 1 Tazbir
Chuchelov ½ : ½ Bulski
Bischoff 0 : 1 Poetsch
Siebrecht 0 : 1 Carstedt
Ris 1 : 0 Dubkov
Dr. Scholz ½ : ½ Nagel

Der Abend fand seinen Ausklang im Rhodos, einem meiner Essener Stammlokale. Das Essen war zwar gut wie immer, aber ich hatte heuer irgendwie keinen Sinn dafür. Erstens nagte der knappe Verlust an meiner Seele. Zweitens war ich Hundemüde und drittens rebellierte mein Magen immer noch.

Im Hotel ging das so weiter. Während ich sonst in der zweiten Hotelnacht wie ein Baby schlafe, wollte das diesmal partout nicht gelingen Irgendwie gab mein Magen keine Ruhe. So wälzte ich mich hin und her, um dann um 3.00 Uhr den Fernseher anzuschmeißen und mich den Rest der Nacht über berieseln zu lassen. Kann sein, dass ich ab und an mal wegdöste, aber als um 6.30 Uhr der Wecker ging, war das keine Überraschung.

Waschen, anziehen, Gepäck ins Auto, kleines Frühstück, auschecken und ab zum Turniersaal. Dort noch schnell ein paar organisatorische Vorbereitungen. Um 9.30 Uhr dann der übliche Aufstellungsritus. Es gab keine Veränderungen gegenüber dem Vortage:

Griesheim - SF Katernberg
Farago - Kryvoruchko
Murdzia - Romanov
Izsak - Firman
Horwarth - Chuchelov
Grabarczyk, M. - Bischoff
Grabarczyk, B. - Siebrecht
Walter - Ris
Janoszka - Dr. Scholz

Wir waren diesmal eindeutiger Elofavorit und meine Jungs hatten mir ja gestern außerdem noch ausdrücklich einen Sieg versprochen. Ich entschied mich aber trotzdem dazu, wach und aufmerksam zu bleiben, auch wenn ich irgendwie wie betäubt durch die Gegend lief.

Um 10.00 Uhr war ich dann wieder soweit koffeingedopt, dass ich keine Sorge hatte, irgendwann von der Müdigkeit übermannt zu werden. Es konnte also losgehen. Gentlemen start your engines! ;-)

In der ersten Spielstunde hatte ich primär die Partien von Yuriy, Evgeny und Vladimir im Visier: Dabei war Yuriy scheinbar schon im Angriffsmodus. Seine Stellung wies nahezu klassische Konturen auf: Entgegengesetzte Rochaden, vorgerückter Springer auf e5, ein nach h7 schielender Läufer, eine Dame mit flexiblen Felderoptionen und eine geöffnete g-Linie aufgrund eines entsprechenden Baueropfers. Parallel dazu bot Evgeny in einer verschachtelten Stellung ohne erkennbare Gefühlsregung bereits eine Qualität feil. Ich war gespannt. Während dessen leitete Vladimir bereits in ein summa summarum wohl remisliches Endspiel über, wobei auch hier bislang nur 15 Züge gespielt waren. Ansonsten keine besonderen Vorkommnisse.

Dies änderte sich auch in der nächsten Spielstunde nicht, so dass ich mir zunächst mal was hinter die Kiemen schob. Ich kam gerade rechtzeitig wieder, um mit anzuschauen, wie Yuriy seine beiden Türme in Stellung brachte und die sodann gegen Faragos Dame eintauschte.

Inzwischen hatte sich auch bei Christian ein materiell gleich stehendes Endspiel eingestellt, das ich aber aufgrund zweier verbundener Freibauern sehr positiv für ihn einschätzte.

Bei Sebastians Stellung hatte ich hingegen ein schlechtes Gefühl. Sein Gegner hatte sich inzwischen einen relativ weit vorgerückten Freibauern erspielt, der derzeit im Zusammenspiel von Dame und Springer zumindest den Damenflügel unseres Drahtseilakrobaten zu lähmen schien. Das veränderte sich auch nicht, als er kurze Zeit später einen Qualitätsgewinn einfahren konnte.

Nicht ohne gewissen Reiz war ebenfalls die Partie, die Klaus hinlegte. Er rührte zurzeit mit einem Turm in den Eingeweiden der gegnerischen Stellung herum, was eigentlich nicht lang ohne Wirkung bleiben kann.

Nazar und Robby hatten indes ausgeglichene Stellungen mit mehr oder weniger vorhandenen Raumvorteilen. Insgesamt also eine tendenziell positive Kampfeinschätzung. Aber so eine Bundesligabegegnung steckt ja bekanntlich voller Überraschungen. Insofern war ich nur verhalten optimistisch.

Ohne, dass ich es recht bemerkte hatte, veränderten sich zu diesem Zeitpunkt die Materialverhältnisse auf Vladimirs Brett. Er hatte nach einem unvorsichtigen Zug inzwischen einen drittel Läufer mehr. Die Perspektiven sahen nicht so schlecht aus.

Während dessen erfüllte sich meine Prognose an Brett 5. Klaus gewann seine Partie! (1,0:0.0). Ein verdienter Punkt angesichts der ständigen Überlegenheit und Balsam auf seine geschundene Schachseele.

Kurz danach fuhren zunächst Yuriy (2,0:0,0) und dann auch Vladimir die Ernte ein. (3,0:0,0). „…Die Kuh gibt Milch…“ hätte jetzt eine mir bekannte bayrische Kommentatorin gesagt. Allerdings waren damit auch die wirklich klaren Gewinnstellungen schon aus dem Rennen. Wir hatten mithin noch ein gutes Stück Weg zu gehen.

Wir wissen ja, dass unser Sebastian gerne mal Tretminen legt. Und genau das rettete ihm nun die Partie. Jedenfalls fand sich sein Gegner nach einer Fehleinschätzung plötzlich in einen nicht mehr zu entwirrenden Mattnetz wieder. (4,0:0,0).

Nach der Zeitkontrolle schien alles klar zu sein:

  • Komplizierte, aber letzlich wohl ausgeglichene Stellung beim Evgeny.
  • Nazar steht scheinbar ebenfalls remislich.
  • Robert konnte seinen Stellungsvorteil weiter ausbauen. Klare Gewinnstellung.
  • Christian steht deutlich schlechter, aber die ungleichen Läufer sorgen ja vielleicht doch noch für gewisse Remisoptionen

Um 14.05 Uhr game, set and match Robby Ris! (5,0:0,0). Ein wirklich erfolgreiches Wochenende für den niederländischen Jungunternehmer.

Auch Christian spielte, wie prophezeit. Er konnte die auf ihn zurollende Bauernmacht letztlich nicht mehr stoppen. Der Ehrentreffer für Griesheim (5,0:1,0)

Verblieben noch Evgeny und Nazar. Während sich dabei unser russischer Meister immer noch irgendwie auf Remiskurs befand (der muss mir mal gelegentlich zeigen, wie man ohne Qualle so gut spielen kann), hatte sich die ukrainische Frontlage deutlich zu unseren Gunsten gewandelt.

Kurz nach dieser Feststellung lief die RFS Romanov tatsächlich in den (verdienten) Remishafen. (5,5:1,5).

Während dessen glätteten sich allerdings auch die Wogen bei der noch laufenden Partie. Irgendwie hatte es Nazars Gegner geschafft, so etwas wie eine Leichtfigurenfestung zu errichten. Remis! (6,0:2,0).

Hier noch mal das amtliche (und vom Schiedsrichter vorab getippte) Endergebnis.

Griesheim 6 : 2 SF Katernberg
Farago 0 : 1 Kryvoruchko
Murdzia ½ : ½ Romanov
Izsak ½ : ½ Firman
Horwarth 0 : 1 Chuchelov
Grabarczyk, M. 0 : 1 Bischoff
Grabarczyk, B. 0 : 1 Siebrecht
Walter 0 : 1 Ris
Janoszka 1 : 0 Dr. Scholz

Ein versöhnlicher Wochenendabschluss mit einem 9. Tabellenplatz. Nächster Halt: Bremen!

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