Vater und Sohn
Geschrieben am 02.09.2023 von Bernd Rosen
Nachbetrachtung der Deutschen Seniorenmannschaftsmeisterschaft der Landesverbände
Ach, könnte ich doch zeichnen wie Erich Ohser, dessen Bildergeschichten unter der Überschrift "Vater & Sohn" bis heute unvergessen sind (und unerreicht erst recht!). Dann würde ich Euch eine schöne Bildergeschichte präsentieren, in der Vater und Sohn reihenweise gegenerische Schachmannschaften in die Schranken weisen. Zugegeben: Wo bei e.o.plauen (so sein Pseudonym) Vater und Sohn prächtig schwarze Haare haben, würden bei der aktuellen Version von Willy & Bernd die Grautöne domnieren. Und das beim Zeichner noch übermütige Kind ist in meiner Geschichte mit 65 Jahren schon selbst im Seniorenalter angekommen (Ohser wurde nur 41 Jahre alt, weil er sich in Haft suizidierte, um nicht von den Nazis ermordet zu werden - doch dies soll ja eine heitere Geschichte werden, also genug davon!). Aber dafür ist es doch eine ziemlich einmalige Sache, dass Vater und Sohn gemeinsam in einem 65+ - Turnier spielen. Und dann auch noch gemeinsam in einer Mannschaft, so wie es meinem Vater und mir bei der Deutschen Seniorenmannschaftsmeisterschaft der Landesverbände im August dieses Jahres vergönnt war.
Es ist ja schon eine gute Tradition, dass eine SFK-Auswahl, verstärkt um einen Gastspieler, unter dem Label "NRW 2" bei der Deutschen Meisterschaft der Landesverbände an den Start geht. In diesem Jahr war es auch bei mir so weit: Erstmals in der 65+ spielberechtigt, durfte auch ich mich diesem Dream-Team anschließen. Neben meinem 90jährigen Vater waren auch Erich Krüger (91!), Karl-Heinz Hüttemann und Dr. Wilfried Beilfuß mit von der Partie. Wilfried spielte vor zwei Jahren noch für NRW I, erlag dort aber dem unwiderstehlichen Charme von Willy, Erich und Werner, und verstärkte nunmehr an Brett 2 unsere Auswahl. Dafür musste er es sich gefallen lassen, in etlichen Berichten, die von der "reinen SFK-Auswahl" schwärmten, mehr oder weniger eingemeindet zu werden.
Als Jüngstem der Truppe fiel mir mehr oder weniger automatisch des Amt des Mannschaftsführers zu. (Warum sollte man ausgerechnet im Alter von 65 anfangen, dem eigenen Vater zu widersprechen?). Zuletzt war ich ja Mannschaftsführer bei einer U14-Mannschaft, und da ist es doch interessant, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede es dabei gibt. Die erste Überraschung erlebte ich beim Einchecken im Hotel, als ich gebeten wurde, den Betrag für die Woche sofort zu entrichten. Aber klar: Senioren - immer Vorkasse (da sollen soger 90jährige dabei sein!).
Vor der ersten Runde stelle ich bei Jugendturnieren immer die Frage: "Mit welchem Ziel gehst Du in das Turnier?" Bei einer so erfahrenen Truppe habe ich mir das gespart, aber im Nachhinein hätte ich vielleicht doch so eine Runde einberufen sollen, um daran zu erinnern, dass man nur mit Remisen schwerlich ganz nach vorne kommen kann...
Dann die erste Runde. Der Ersatzspieler ist nicht einfach nur der Einwechselspieler, sondern soll natürlich auch seine Einsätze kriegen. "In der ersten Runde bekommen wir den schwächsten Gegner, deshalb lassen wir da immer Brett 1 pausieren!" Okay, also schaue ich zu, wie meine Mannschaftskameraden Württemberg II verhauen. Im Übrigen war's mir ganz recht, denn mit nominell einer der stärksten ELO-Zahlen im Turnier ausgestattet, fürchtete ich mich angesichts zuletzt doch eher bescheidener Resultate, der vermeintlichen Favoritenstellung nicht unbedingt gerecht werden zu können. Mit dem Verhauen hat es dann auch nicht geklappt. Wilfried lässt sich ohne Gespür für Gefahr zweizügig Matt setzen, Karl-Heinz schenkt seinen mühsam erbeuteten Mehrbauern wieder her und Willy verliert in der längsten Partie des Tages den Faden in einem "eigentlich" remisen Turmendspiel. Da nützt es auch nichts, dass Erich eine Glanzpartie in großem Stil gewinnt.
Nichts genützt hat es auch, dass Anna aus dem nahe gelegenen Tübingen angereist ist, um die Mannschaft moralisch zu unterstützen.
Normalerweise kriegst Du beim Schweizer System einen wirklich schlagbaren Gegner, wenn Du als Favorit in der ersten Runde verloren hast. Nicht so diesmal: Württemberg I hat in der ersten Runde nur Remis gespielt, und wir werden hochgelost. Also gegen den Setzlistenzweiten!
Runde 2: Am Anfang habe ich gewaltige Orientierungsschwierigkeiten: Beinahe hätte ich notiert "Württemberg I - Katernberg" - aber dann fällt mir noch rechtzeitig ein, dass wir hier unter "NRW" auflaufen. Schließlich steht sogar die Landesfahne an meinem Brett! (Wodurch kaum noch Platz bleibt, geschlagene Steine irgendwo abzustellen). Die Partie läuft dann wesentlich besser. Es gelingt mir, eine positionelle Modellpartie zum Thema "offene Linie" zu spielen, in der ich gleich zwei Mal eine Leichtfigur als Sperrfigur in die Linie stellen konnte, um vorzeitigen Abtausch zu vermeiden. Den zweiten Punkt steuert der zweite Rosen bei, Erich und Karl-Heinz spielen Remis - ein 3:1 Sieg ist der Lohn.
Runde 3: Gegen Bayern 2 das gleiche Bild: 2 Rosen = 2 Punkte, 2 Remisen durch Erich und Wilfried = 3:1 Sieg.
Runde 4: Gegen NRW I gibt es ein unglückliches Remis: Mir gelingt auch gegen Ulrich Dresen ein überzeugender Sieg, aber Wilfried verliert eine glänzend gespielte Partie gegen Hassenrück: In der offenen g-Linie schlägt er mit dem Turm auf g2, und gerade dies erweist sich alks entscheidender Fehler. Wie ungerecht es in der (Schach-)Welt doch zugeht!
Runde 5: Gegen Bayern I droht eine Niederlage, aber beim Stand von 1:2 erliegt Willys Gegner einer Fata-Morgana und opfert seinen Turm, um einen Freibauern durchzubringen.Willy kassiert eiskalt den Turm und stoppt den Freibauern auf einfach Weise. Der Turm ist futsch, und der Punkt dür Bayern natürlich auch. Manchmal muss man auch Glück haben . Oder, aus bayerischer Sicht: Wie ungerecht es in der (Schach-)Welt doch zugeht!
Runde 6: Alle spielen Remis und hoffen darauf, dass ich am Spitznbrett gewinne (das ist auch das einzige Brett, an dem wir auf dem Papier endeutig stärker besetzt sind). Tatsächlich gewinne ich auch ganz einfach. In der Analyse weise ich, unterstützt durch die noch einmal angereiste Anna, überzeugend nach, dass die Stellung auch ohne den groben Fehler meines Gegners für ihn hoffnungslos war. Anna versteigt sich gar zu der Äußerung: "Den hätte ich auch geschlagen!" Der Rechner zeigt, dass mein Gegner Erwin Böhm mit seiner Remisidee völlig richtig lag - die Stellung wäre bei richtigem Spiel für mich ungewinnbar gewesen. (Ich werde zukünftig wohl doch darauf verzichten, diesen notorischen Besserwisser um seinen Kommentar zu meinen perfekten Gewinnpartien zu bitten...)
Runde 7: Wenn Du zu viele Punkte holst, kommst Du irgendwann gegen den Setzlistersten. Da wir vor der letzten Runde auf dem 3. Platz im Turnier lagen, ist es wenig verwunderlich, dass wir in der letzten Runde gegen Baden spielen müssen. Willy erklärt sich bereit, auch die 7. Runde zu spielen (er ist damit der einzige Spieler unserer Mannschaft, der alle 7 Kämpfe bestreitet), weil "gegen Baden die stärkste Mannschaft spielen muss" (Hüttemann). Wilfried neutralisiert schnell den starken Clemens Werner. Ich könnte nach 12 Zügen mit einem in der Eröffnungsthorie bekannten Trick eine Figur gewinnen (kenne das Motiv sogar!), denke aber in der konkreten Stellung gar nicht darüber nach, starte dann in schwieriger Lage einen Verzweiflungsangriff, der tatsächlich zu einem Remis durch Dauerschach führt, nachdem mein Gegner mehere auf der Hand liegende Fortsetzungen außer acht gelassen hat, die ihm einen Sieg beschert hätten. Erich schlägt leider in komplett überlegener Stellunge einen vergifteten Bauern und gerät auf die Verliererstraße, so dass alles an Willy hängt: Der spielt eine grandiose Partie mit dem Botwinnik-System, verpasst mehrmals, seinen Königsangriff mit Matt zu beenden, gewinnt aber dann ein Bauernendspiel, weil seinem Gegner ein entscheidendes Tempo fehlt. Wir Normalsterblichen müssen so etwas mühsam berechnen, einer wie Willy hat das im Gefühl (er wundert sich im Nachhinein selbst). Endergebnis also 2:2, und weil alle Verfolger auch 2:2 gespielt haben, ändert sich an der Reihenfolge nichts - wir sind Dritter bei der deutschen Meisterschaft!!
Alle Ergebnisse stehen auf der offiziellen Turnierseite. Hartmut Metz hat bei Chessbase zwei schmeichelhafte Berichte über das Turnier und unser Auftreten dort veröffentlicht: Zwischenbericht und Abschlussbericht
Hier noch einige Fotos, die freundlicherweise Hartmut Metz für uns zur Verwendung freigegeben hat: